Donnerstag, der 29. September 2022; Godspeed You! Black Emperor spielen in München. Sein Kultstatus eilt dem schweigsamen Band-Kollektiv aus Kanada voraus. Doch das sieht man den Fans und Interessierten, die an diesem Abend der Muffathalle zustreben, nicht unbedingt an. Eine Kongregation der Verzweifelnden, in heroischer Anmut taumelnder Jungmenschen, rauschende Poet:innen der Weltverkehrtheit scheint, scheinen es (äußerlich) nicht zu sein, vielmehr gefasste Musik-Liebhaber:innen, gekommen, um sich die neusten Stücke des Ensembles anzuhören. »G_d’s Pee AT STATE’S END!« lautet der Titel des jüngsten GY!BE-Albums, erschienen im Frühjahr letzten Jahres; »we wrote it on the road mostly. when that was still a place. and then recorded it in masks later, distanced at the beginning of the second wave«, berichtet die Band. Inzwischen ist die Road sicher nicht weniger McCarthyesk, aber zumindest für tourende Bands wieder befahrbar geworden, und München bildet, wie schon vor drei Jahren, eine Station auf dem Tourplan. Begleitet werden GY!BE diesmal von Tashi Dorji. Der aus Bhutan stämmige Solo-Gitarrist pflegt einen improvisierenden, formfreien Stil. Den anarchischen Impetus, den GY!BE vorzugsweise in paramusikalischen Zeugnissen zur Schau stellen, lebt Dorji unmittelbar in seiner Musik aus. Auf Melodien und vertraute Harmonien wartet man vergeblich während seines rund 45-minütigen Sets. Immer wieder bricht die verzerrte Klangspur, die Dorji legt, unvermittelt ab; seine oft ruckartige, arhythmische Verwendung von Klangeffekten erzeugt Verfremdungseffekte. Mag die Holprigkeit seiner Performance auch beabsichtigt sein und sich als eine Herausforderung von auf kulturindustriell verfertigte Massenprodukte eingestimmte Hörgewohnheiten gegen Zweifel immunisieren: Dorjis Darbietung entbehrt unbefriedigenderweise weitgehend jeglicher sinnlicher Dimension. Erst gegen Ende seines Sets läuft die Musik in eine Rille ein, wo Dorji sie aus eigener Kraft schwingen, sprechen, flirren lässt.
Nur kurze Zeit später besetzen die Musiker:innen von GY!BE die Bühne. Die Gruppe ist in gewohnt starker Aufstellung mit drei Gitarren, zwei (Kontra-, bzw. E-)Bässen, Geige und Percussion angetreten. Schon erwachen die analogen Filmprojektoren im Rücken des die Muffathalle nicht ganz füllenden Publikums zum Leben, die »Hope Drone« setzt ein, mit der GY!BE traditionell ihre Sets einleiten. Zwei Stücke vom neuen Album bilden den ersten Teil des Konzerts, bei glänzenden akustischen Bedingungen entfaltet die Band flächige, von Unrast und Melancholie durchzogene Klanglandschaften, in denen sich die fahrig an die Wand geworfenen Videoschnipsel spiegeln: im Bau befindliche (oder aufgelassene) Hochhäuser, winterlich-desolate Industriezonen. Wenige Live-Acts beherrschen die Kunst, ihre Musik mit entsprechenden Visualisierungen produktiv zu vereinigen, so gut wie GY!BE. Die live und von Hand eingelegten Filme folgen dem Rhythmus der Musik, sprechen dieselbe Sprache: repetitive, traurige, anklagende Lebens- und Untergangslyrik. Das beinahe triumphal und hell gestimmte »Bosses Hang« bleibt eher blass, ehe Geigerin Sophie Trudeau das Leitmotiv von »Moya« anstimmt und dem Konzert damit einen Höhepunkt an emotionaler Intensität beschert. Die Band inszeniert das von Góreckis »Symphony of Sorrowful Songs« inspirierte Stück vor dem Hintergrund der glühenden Konvulsionen von Ressourcenverfeuerung und Produktion als gänsehauterregendes Requiem auf das Unwiederbringliche. Auch das letzte Stück, das verletzliche, epische, niederschmetternde – »Blaise Bailey Finnegan III« präsentiert die stärksten Facetten des Godspeedschen Schaffens.
Die Band verabschiedet sich, lächelnd, winkend, verlassen stehen die Amps auf der Bühne, in ihnen verheddert die letzten Echos und Nachhalle der verklungenen Musik wie eine Erinnerung an irgendein vergangenes Glück, die sich – hilflos, wehmütig – kaum mehr artikulieren lässt.
Setlist: Hope Drone / Job’s Lament / First of the Last Glaciers / Bosses Hang / Cliffs Gaze / Moya / BBF3