Eigentlich sollten Leprous, Agent Fresco, AlithiA und Astrosaur am 17. November im Strom spielen, Beginn: 19:00. Doch das Konzert wurde verlegt: Um eine Viertelstunde nach vorne! Weil dies ganz offenbar nicht an einen vorgezogenen Einlass gekoppelt ist, hat der ausverkaufte Club nur wenig Zeit, sich bis zum Anschlag zu füllen, ehe unvermittelt drei junge Herren auf der Bühne auftauchen und die Leute mit sanfter Gewalt von Bar und Merchstand weglocken. Sehr positiv: Nicht nur der Auftritt der bisweilen von Kopf bis Fuß eingenebelten Osloer, sondern auch die Aufgeschlossenheit des Publikums, das dem instrumentalen Stoner/Psych/Space Rock des Trios keineswegs mit Missachtung begegnet, sondern sich zu allgemeinem Wohlwollen bekehren lässt, überrascht, obwohl die astrosaurische Klangwelt doch eher wenig mit der von Leprous oder Agent Fresco gemein hat.
Keine Band dieses Abends lässt sich länger als 20 Minuten Zeit mit dem Umbau, so auch nicht die Australier von AlithiA – obwohl die wohl mehr Equipment konfigurieren müssen, als alle anderen Bands (von Leprous einmal abgesehen). Warum? Weil sich hier sechs, manchmal sieben Personen auf der kuscheligen Strom-Bühne tummeln: 2x Keyboard, 2x Gitarre, Bass, Schlagzeug und die russische Sängerin Marjana Semkina, die bei AlithiA diese wegen Krankheit vakante Stelle für die Tour ausfüllt, sich aber nur zeitweise hinter dem Mikrofon einstellt, um nicht von der Wand aus wogenden Männerleibern erdrückt zu werden, die mal synchron headbangen, mal wild durcheinander springen, mal miteinander rangeln – und nach einem undurchschaubaren (oder nicht existenten) Prinzip um die Instrumente rotieren und rangieren: Keyboarder Danny hechtet in Richtung Schlagzeug, um dort unterstützend auf irgendetwas einzuhauen, sein Mikro wird vom Gitarristen gekapert, der nach bester Neandertaler-Manier hineinorgelt, Keyboarder Jeffrey, der in seiner schwergewichtigen Manie-Euphorie das Geschehen anführt, schafft es, gleichzeitig zu singen, seine Mähne zu schütteln, seinen Tasten spacige Synthesizer-Harmonien zu entlocken, sich in Kabeln zu verheddern und beinahe seine Bongos von der Bühne zu fisten. So faszinierend und unterhaltend dieses ganze Geschehen auch ist – die Zuhörerschaft scheint gelinde überrollt von der haltlosen Sause, die die Band bei eher halbseidenen Soundverhältnissen abfeiert. Nichtsdestotrotz: Nach einer dreiviertel Stunde wird das Kollektiv mit einem vielleicht etwas ratlosen, aber dicken Daumen nach oben verabschiedet.
An der T-Shirt-Dichte war es schon abzulesen: Agent Fresco dürfen sich auf eine enthusiastische Fanschar freuen – und tun es auch. „Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich werde heute einen fantastischen Abend haben!“ lässt Sänger Arnór die Leute wissen – und sorgt mit seinen Mannen die nächste Stunde über dafür, dass es ihm auch der/die Letzte gleichtut. Nachdem sie sich mit dem leisen „He Is Listening“ warm gespielt haben, startet die Band mit „Howls“ und einem Urschei ins Hauptprogramm – und Song für Song wird frenetisch begrüßt, auch eine brandneue Nummer, auch die Tatsache, dass Bassist Vignir nicht mit auf Tour gehen konnte, weil er Vater geworden ist: den Refrain von „Eyes Of A Cloud Catcher“ reißen die versammelten Kehlen dem Sänger direkt aus der Hand. Ihre tadellose, unterhaltsame, lineare (etwas kantenlose) Performance beenden Agent Fresco mit „The Autumn Red“: Arnór steigt von den Bühne herunter, verteilt Liebe, Handshakes und echten, isländischen Schweiß unter den Leuten wie ein Pfarrer Weihwasser. Und vollendet den Note 1-Auftritt auf dem Gitter um die Sound-Anlage stehend. „Das war toll mit euch, da werde ich heute Nacht gut schlafen“, meint er augenzwinkernd.
Setlist: Anemoi / He Is Listening / Howls / Pyre / Wait For Me / Neuer Song / See Hell / Angst / Bemoan / Dark Water / Eyes Of A Cloud Catcher / The Autumn Red
Nein, schlafen wollen wir noch nicht – sondern: Fernsehen! Vier große Flachbildschirme leuchten auf, während man auf Leprous wartet und die Menge vor der Bühne noch ein bisschen mehr eindickt. Um die Wartezeit zu verkürzen, fiedelt sich der Cellist Raphael Weinroth-Browne einige Minuten lang warm, bevor es dunkel wird und Leprous der gespannten Erwartung entgegentreten. Die wird zunächst einmal nur mit gezogener Bremse erfüllt: „Bonneville“, „Stuck“ (vom neuen Album „Malina“) und auch das ältere „Salt“ funktionieren zwar tadellos, vermögen das Eis des Anfangs aber noch nicht so recht zu brechen. Das bleibt den Songs vom letzten Album „The Congregation“ vorbehalten: „The Price“, „Rewind“ und „Slave“ bieten dem, der es gerne tut, Gelegenheit, sich gesanglich zu betätigen und/oder rhythmische Kopfbewegungen zu vollführen; und den Kopf frei zu bekommen, um den neuen Kompositionen zu lauschen, die einen Großteil des Auftritts ausmachen. Weniger direkt auf die Zwölf, sich Zeit lassend, leise Momente auskostend: „Illuminate“ oder „The Weight Of Desaster“ gelingt es – je nach Standpunkt trotzdem oder gerade deswegen – in Echtzeit sehr positive Resonanz zu erzeugen. Bevor wir uns von Sänger Einar Solberg, allein, nur mit Cello und „The Last Milestone“ in die Zugabe hinübertragen lassen, noch ein Wort zu diesen Fernsehern: Die Idee, auf direkte Beleuchtung der Musiker zugunsten von Screens zu verzichten in allen Ehren, aber anstatt die Musik, die damit ja offenbar ins Zentrum gerückt werden soll, zu untermalen, sorgen die Monitore, auf denen synchron repetitive (Stockfootage-) Clips liefen, eher für eine Art Verfremdungseffekt – ganz abgesehen davon, dass sie von den Musikern zumeist ohnehin verdeckt wurden und diese Show-Men mehr als genug sind, um auf Visualizer absolut nicht angewiesen zu sein: Auf eigens dafür platzierten Stufen posieren die Norweger offensiv über und unmittelbar vor dem Publikum, verziehen keine Miene außer einer entschlossen fokussierten, kurz: They own that stage! Und das am 21. Tag einer 26-tägigen Tour – auf der sie und ihre Tourkollegen 24 Konzerte abreißen.
Zurück ins Geschehen: Als erste Zugabe gibt man sich die Kante mit „Lower“, „Mirage“ und vor allem: „From The Flame“, einem Song, der für keinen anderen als diesen Zweck geschaffen zu sein scheint – eine Abrisshymne am Ende der Setlist zu sein. Diesen Zweck erfüllt die skandinavische Qualitätsarbeit mit Bravour – und noch mehr. Nachdem die Band sich – mit einem Mal herzlich, ausgelassen, entspannt – vom begeisterten Publikum verabschiedet haben, will dieses einfach nicht aufhören, nach mehr zu verlangen. Nach einiger Zeit wird zögerlich die Saalbeleuchtung eingeschaltet und Musik vom Band ertönt. Ist den Leuten aber egal und tatsächlich kommen Leprous etwas baff dann doch noch einmal zurück und die Fans zu ihrer zweiten Zugabe: „The Flood“ setzt dem Ganzen die Krone auf, ungeachtet der Tatsache, dass ein paar piefige Zeitgenossen sich nicht von ihrer vermeintlichen Pflicht abhalten ließen, einen völlig unpassenden Moshpit am Laufen zu halten – ist halt Meddl, Loide… oder auch nicht.
Setlist: Bonneville / Stuck / Salt / The Price / Illuminate / Rewind / Slave / Malina / The Weight Of Disaster / The Last Milestone – Zugabe: Lower / Mirage / From The Flame – Zugabe 2: The Flood
FAZIT: Ein überaus gelungener, ausverkaufter Konzertabend; für jede der vier Bands hat sich das Kommen gelohnt. Und dass bei einer Mischung aus vollem Haus und Musikern, die ihre Sache erst nehmen, ohne eine unnatürliche/abgehobene Distanz zu ihrer Zuhörern aufzubauen, die schwer fassbare Größe „Stimmung“ deutlich im grünen Bereich lag, ist wohl selbsterklärend.
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