Das Stück scheint wie eine Quelle schier unendlicher Kreativität zur Neugestaltung: „Don Giovanni“, die zweite Oper von Wolfgang Amadeus Mozart (Musik) und Lorenzo Da Ponte (Libretto) in Zusammenarbeit. Davon, dass das Werk damals Ende des 18. Jahrhunderts unter massivem Zeitdruck entstand, merkt man rund 230 Jahre später nichts mehr – ein vielfach gespielter und heißgeliebter Klassiker des Musiktheaters ist daraus geworden, jedes etablierte Opernhaus probiert sich mindestens einmal an der Geschichte um den begierigen Casanova – so auch das Gärtnerplatztheater, das, da bis Herbst weiterhin aufgrund der Renovierung des Haupthauses auf befreundete Theater ausgewichen werden muss, im Cuvilliéstheater Premiere feiern darf, am sonnigen Abend des 24. Juni 2017.
Das Cuvilliéstheater alleine ist den Besuch bereits wert. Keine Frage, die Örtlichkeit hat nichts mit der Beurteilung eines Stückes zu tun, aber das wunderbare Rokoko-Theater kann nicht einfach komplett unbenannt bleiben – viel zu schön passt es in die Zeit der Entstehung des Stückes. Umso überraschenderweise, dass sich, zum Start um kurz nach 19 Uhr, der Vorhang hebt und ein modernes Bühnenbild, hauptsächlich bestehend aus drei opulenten „Bügeleisen“-Wänden, die allesamt mit Türen versehen sind, zum Anschein kommt. Während das Orchester, dirigiert von Chefdirigent Marco Comin, zielsicher die verhältnismäßig düstere Ouvertüre spielt, dreht sich die Bühne konstant weiter, bis das Bild beim ungeduldig umherstreifenden Leporello, der Leibwache Giovannis, stehenbleibt, der wiederum in Kapuzenpulli aufgeregt auf seinem Handy herumdrückt. Spätestens nun ist die moderne Richtung der Inszenierung bekanntgegeben – ein oft vielmals kritisierter Weg. Auch hier?
Die schlichte Antwort: nein. Die Inszenierung, und das ist wohl wirklich ein kleines Kunststück, scheitert nirgendwo und ist von Anfang bis Ende absolut stimmig. Regisseur Herbert Föttinger hat bewusst auf diese kühle und moderne Atmosphäre gesetzt, ohne die Stände-Problematiken im Original abzuschaffen, denn hier ist Don Giovanni schlichtweg eine reiche Person im blauen Sakko, die, wie in der Originalzeit, agiert und sich ebenso benimmt – das Setting ist, nur auf den Protagonisten bezogen, weiterhin austauschbar. Der wahrscheinlich am kritischsten zu betrachtende Punkt sind die mehrmals auftretenden, zu großen Teilen entblößten Statisten. Und ja, nackte weibliche Brüste im Theater sind schon lange kein Aufschrei mehr, doch trotzdem sollte man sie immer dann „einsetzen“, wenn es auch wirklich nötig und passend ist. Hierbei ist nur das Attribut „passend“ zutreffen, es ist logisch im Kontext angeordnet und stellt die Begierde Giovannis in exzessiver Form intensiver dar. Ob es denn aber wirklich nötig gewesen wäre? Nein. Aber das ist wohl auch der einzige kritischer zu betrachtende Punkt einer sonst glänzenden Inszenierung.
Das Bühnenbild: unterkühlt. Emotionslos. Pompös, aber vor allem konstant und kontinuierlich. Don Giovanni bricht nicht aus seiner Welt aus, er bleibt bis zum letzten Atemzug in der glamourösen Welt ohne Ecken und Kanten. Besonders interessant: die Uhr, die keine Zeiger besitzt. Zeit ist kein Punkt, mit dem Giovanni sich abgibt – er lebt für das weibliche Geschlecht, ohne Ausbruch und vor allem ohne eigene Konsequenz.
Die Titelpartie wird übernommen von Mathias Hausmann, der den modernen und rotzarroganten Frauenverführer mit gesanglichem, aber vor allem schauspielerischem Bravour meistert. Wenn man sich einen Don Giovanni vorstellt, Hausmann kommt dieser Vorstellung immens nahe. Besonders hervorzuheben sind Levente Páll in der Rolle des Leibwächters Leporello – ein kleiner Tollpatsch mitten im Eifer des Gefechts, der konstant überragend gesanglich überzeugen konnte, u.a. im ersten Akt in der Arie „Madamina, il catalogo è questo“, was sogleich mit euphorischen Szenenapplaus belohnt wurde. Ebenfalls mehrmals mit Szenenapplaus gewürdigt wurde Camille Schnoor in der Rolle der Donna Elvira, der verletzten, aber trotzdem unendlich verliebten Verführten des Giovanni. Das gesamte Ensemble wusste zu überzeugen, ohne Ausnahme eine absolut gelungene Besetzung.
Die Gärtnerplatztheater-Inszenierung des „Don Giovanni“ bekommt also eine uneingeschränkte Weiterempfehlung, jeder Punkt ist durchdacht und (fast) immer nur eingesetzt, wenn wirklich nötig, was das monotone und zeitgleich opulente Bühnenbild zum minimalistischen Wandel werden lässt, denn selbst wenn die Szenen zwischen düster und amüsant wechseln und ein anderes Setting stets rotiert – das Szenario selbst bleibt gleich, ohne Ausbruch. Denn völlig frei, ob vor über 200 Jahren oder heutzutage – Don Giovanni bleibt ein durchtriebener, verführerischer Betrüger. Sowohl in Fürstengewand als auch im Anzug.
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