Eine Oper, die tief berührt – Il ritorno / Das Jahr des magischen Denkens im Cuvilliéstheater (Kritik)

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Opern haben verworrene Handlungen und sind überdramatisch. Opern seien langatmig und man gehe für große Namen wie Puccini oder Mozart hin, selten nur, um sich unterhalten zu lassen. Mit diesen Klischees bricht die Bayerische Staatsoper mit der Inszenierung Il ritorno / Das Jahr des magischen Denkens. Wer in der Oper eine Geschichte hören möchte, die hier und heute für uns Relevanz hat, sehr berührt werden, wer sich öffnen möchte für eine neue Form des Musiktheaters, für den ist dieser Abend genau das Richtige. Zunächst beeindruckt natürlich das Cuvilliéstheater als Spielort. Das lichtdurchflutete Foyer, das Rokoko-Theater in der Residenz, dieser Wirkung kann sich kaum ein Besucher entziehen. Vor und nach der Vorstellung bleiben einige Zuschauer*innen, um noch Fotos von diesem beeindruckenden Saal zu machen. Noch übertroffen wird die Wirkung jedoch von der Inszenierung von Christopher Rüping.

© Wilfried Hösl

Die Handlung von Il ritorno aus dem 17. Jahrhundert befasst sich mit der griechischen Mythologie von Homer. In einer modernen Inszenierung den Bezug zur griechischen Mythologie aus so einem alten Stück herzustellen, ist eine Herausforderung. Regisseur Rüping löst sie, in dem er einen Theatertext von Joan Didion hinzuzieht. Zu Beginn des Abends wird ihre Geschichte erzählt. Das traumatische Erlebnis vom Tod ihres Mannes. Der schmerzhaften Verlust eines geliebten Menschen, des Geliebtesten unter allen Menschen. Da gibt es keinen pompösen Auftakt, keine wallenden Opernroben und keine ausschweifende Arien. Es gibt gesprochenen Text von Sybille Canonica, Wiebke Mollenhauer und Damian Rebgetz. Und dennoch kann sich das Publikum so gut hineinversetzen in eine Handlung, die uns heute so nah scheint. Ein ganz normaler Abend, ein ganz normales Abendessen mit dem Partner, ein plötzlicher gesundheitlicher Notfall und der wichtigste Mensch im Leben ist einem entrissen. Mit diesem Gefühl startet man in Monteverdis Oper.

Verzweifelt wartet Penelope (Kristina Hammarström) auf die Rückkehr des geliebten Gatten, Odysseus (Charles Daniels). Natürlich projiziert jeder sofort das Gefühl des Verlustes, die Tragödie der Frau, deren Mann nicht mehr lebt, auf die wartende Königin. Schließlich geht bei ihr der gesamte Hofstatt davon aus, dass der König nicht zurückkehren wird. Durch die Abwechslung von Schauspiel und Oper wird das Publikum emotional stark einbezogen. Man hat keine Gelegenheit, sich zurückzulehnen und sich musikalisch berieseln zu lassen, denn die gesprochenen Text Passagen bringen jeden immer wieder in die Gegenwart. Die bedrückendes Stimmung, die das Jahr des magischen Denkens im Zuschauer erzeugt, nimmt man mit in die Oper, und sie wird durch Monteverdis Musik noch verstärkt, hallt darin nach, erreicht andere Dimensionen. Was diese Oper emotional auslösen will, wird dadurch erreicht, dass der Zuschauer im Jahr 2023 ein greifbares Bild vor Augen hat. Wenngleich in vielen Inszenierungen die Kombination verschiedener Theatertexte zu Überforderung führt, in diesem Fall bereichern sich die Materialien gegenseitig.

© Wilfried Hösl

Auch die künstlerische Umsetzung ist vielschichtig und lädt mit zahlreichen Zitaten zu komplexen Interpretationen ein. So erkennt man in einigen Szenen, in denen ein Donnergeräusch erzeugt werden soll, dass jenes nicht von Trommeln im Orchester ausgeht, sondern ein Donnerblech verwendet wird. Jedes Hilfsmittel, welches bereits in barocken Theaterinszenierungen, zu denen auch das Cuvilliéstheater sehr gut passt, verwendet wurde, um beim Zuschauenden Angst und Schrecken zu erzeugen. Auch das Bühnenbild bezieht sich stark auf die Art, wie im 17. Jahrhundert Bühnen gestaltet wurden. Von rechts und links schieben sich Prospekte auf die Bühne, zwischen denen die Darsteller*innen hindurch gehen. Dennoch versucht man nicht lediglich die historische Art Theater zu machen zu reproduzieren, Jonathan Mertz kombiniert sein Bühnenbild mit der im zeitgenössischen Theater obligatorischen Leinwand. Sie wird entweder als Teil eines Bühnengesamtkunstwerkes verwendet oder, um mit Live-Kamera-Aufnahmen Close-Ups der Mimik der Figuren abzubilden.

Die Kombination aus historischen und zeitgenössischen Mitteln gelingt hier hervorragend. Beide stehen sich nicht im Wege oder konkurrieren, sondern fügen sich zu einem gewinnbringenden Konzept zusammen. Die Wirkung, die Aussage beider Stücke, steht im Fokus. Die Trauer einer Frau, die einen geliebten Menschen verloren hat, bei Joan Didion ebenso wie bei Monteverdi. Im starken Kontrast zu Penelope, die lebensfrohe, frisch verliebte energiegeladene Melanto (Xenia Puskarz Thomas), die unermüdlich versucht, ihrer Königin den Trübsal aus zu treiben. Dass Penelope in der griechischen Mythologie von Freiern umschwärmt wird, ist allseits bekannt, wie wenig sie für die selben übrig hat, wird in dieser Inszenierung so deutlich, da Penelope als unantastbare Königin der Trauer inszeniert wird, ihre Freier mit farbenfrohen Kostümen hingegen als eitle oberflächliche Gockel auftreten. Im Text der Oper, laden Sie Penelope fortwährend ein, in Tanz und Musik Zerstreuung zu suchen. Die taktvolle Dramaturgie von Malte Ubenau und Christopher Warmuth sorgt dafür, dass die fröhlichen Unterbrechungen der drei Freier den so emotional geladenen Abend zwar auflockern, aber dennoch nicht durch Albernheit ins groteske ziehen.

© Wilfried Hösl

Auch die performative Einsätze von Damian Rebgetz wirken nur in dem Maße aufrüttelnd, wie das Stück es verträgt. Als Penelope in ihrer Trauer zu versinken droht und Melanto unzählige Male versucht hat, ihr den Schleier der Trauer vom Kopf zu ziehen, schreitet Rebgetz und, er interveniert richtiggehend. ‚Er ist tot!‘, beschwört er, appelliert er, ruft und schreit er schließlich in verschiedenen Sprachen, bis die Message angekommen ist. Und erst als Penelope sich ihre Zukunft öffnet, trifft Ulisse im Schloss ein. Erst als sie das Leben wieder zulässt, ist sie für das Leben zugänglich. In dieser Inszenierung von zwei Stunden ohne Pause stecken Tiefgang und Symbolik. Sie ergreift den Zuschauer und bringt ihm Monteverdi nah, wie es die Oper alleine wohl nicht vermacht hätte. Christopher Rüping beweist, wie handwerkliches Können einer inhaltlichen Aussage zu 100 % dienen kann. Eine fantastische Arbeit!

Kritik: Jana Taendler

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