Overdrive – Conan Gray in der TonHalle (Bericht)

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Eine Zeit lang war die Hollywood-Schauspieler Zendaya ein Phänomen dafür, eine unbeschreiblich große Fan-Schar hinter sich zu haben, während sie der Großteil der vorrangig älteren Generationen überhaupt nicht einzuordnen wusste – geändert hat es sich bei ihr erst so richtig mit „Dune“, „Spider-Man: No Way Home“ und „Euphoria“ vergangenes Jahr. Ähnlich verhält es sich mit Conan Gray. Der Musiker versammelt eine beachtliche und sehr passionierte Fan-Schar hinter sich, doch in der breiten europäischen Öffentlichkeit hat es nur schemenhaft mit Songs wie „Maniac“ und „Heather“ geklappt. Dass Weiteres aber nur eine Frage der Zeit ist, beweist er am 13. Mai 2022 in der TonHalle München.

Die Schlange vorm Einlass erstreckt sich einmal durch das gesamte Werksviertel-Mitte und zeigt, dass hier niemand das Risiko eines Zu-Spät-Kommens auf sich nimmt: die faktisch ausverkaufte TonHalle füllt sich schnell. Das Publikum ist gemischt, aber zum Großteil weiblich und etwa im Altersbereich 16-25 Jahre – Ausreißer sind da nur manche Eltern, die die jüngsten Conan-Fans begleiten. Spannend ist die beachtliche Anzahl an LGBTIQ+-Anhänger – zwar gilt Gray als dort als kleines Idol mit seiner Musik, aber dadurch, dass er sich nie großartig dazu geäußert hat, ist diese Verbindung öffentlich auch nie wirklich geknüpft worden. Da steht eher die auch gern mal auf Social Media präsentierte Freundschaft mit Breakthrough-Liedermacherin Olivia Rodrigo im Fokus.

Musikalisch erinnert auch Support mallrat an eine musikalische simplere Rodrigo, zumindest zu Beginn mit den Songs „Better“ und „Groceries“. Sie kommt mit DJane auf die Bühne, die für mehr oder minder live gemischte Halbplaybacks sorgt, zu denen die australische Sängerin ihre Texte darbietet. Etwa zur Hälfte des Sets rutschen Songs und Stimmung allerdings in Club-Atmosphäre – es wuchern laute Beats aus den Boxen, die genauso gut von David Guetta kommen könnten. Das spricht einerseits für Vielseitigkeit, aber wirkt dann doch etwas deplatziert und ohne so rechten musikalischen Plan. Ihr Debütalbum habe sie heute veröffentlicht, erzählt mallrat freudestrahlend, und so verzeiht man ihr heute auch gerne den einen oder anderen zu viel verwendeten Effekt auf der Stimme. Nach 30 Minuten verabschiedet sie sich mit „Rockstar“ und macht Platz für das Umbau-Team.

Setlist: Better / Groceries / Make Time / Teeth / R U High? / Surprise Me / Charlie / Rockstar

© Universal Music

Schon bevor es überhaupt losgeht, skandiert das Publikum fleißig „Conan“-Rufe. Dieser entert pünktlich um 21 Uhr die Bühne, zuvor nimmt die vierköpfige und komplett weibliche Band ihre Plätze ein. Der erste Auftritt ist – natürlich – groß: die riesige Leinwand im Hintergrund teilt sich in zwei Hälften, in der Mitte erscheint Conan Gray unter ohrenbetäubendem Jubel und beginnt mit einer abgewandelten Version von „Wish You Were Sober“ sein Konzert. Gleich zu Beginn überrascht: was für ein Sound! So gebebt hat die TonHalle lange nicht mehr, der US-Amerikaner hat eine mächtige Sound-Produktion dabei, die zwangsläufig auch auf seine fantastische Live-Band zurückzuführen ist. Die vier Damen sind es, die selbst die elektronisch anmutenderen Songs von Gray in ein völlig organisches und überraschend rockiges Gewand packen. Da die Musik sowieso schon recht rough und organisch im Original ist, steigern sich manche Lieder in ihren Live-Versionen noch einmal deutlich – so überrollen die rockigen Songs „Jigsaw“ und „Fight Or Flight“ das Publikum sprichwörtlich und die Gitarre auf Anschlag tut ihr Übriges. Ist das noch Poprock?

© CAA

In Genre-Schubladen lässt sich der Wahl-New Yorker sowieso nicht stecken. Auch seine Persönlichkeit lässt sich nicht so leicht einordnen, aber Gray erzählt an diesem Abend einiges über seine Gefühlswelt und die Hintergründe seiner Lieder – so auch über seine schwere Kindheit und die schrecklichen Ratschläge seiner Mitmenschen, man müsse stark bleiben und es werde schon besser, das habe alles nur noch schlimmer gemacht. Irgendwann der Entschluss: „I don’t wanna stay strong anymore, let me be weak. And then life gets better“. Sogar so gut, dass er, ohne sich zu vorstellen, mittlerweile weltweit erfolgreich tourt und mit ausgefallen Outfits und noch ausgefallener Musik die Menge mitreißt. Dabei kommt der gesangliche Aspekt nicht zu kurz: er trifft selbst die schwierigsten Töne korrekt und überzeugt in den vielen Kopfstimmen-Parts, die vor allem in seinen neueren Liedern zu finden sind. Gelegentlich wird es nur schwer, dem Live-Gesang (übrigens ohne jegliche Effekte oder Backing-Tracks, wie im Pop mittlerweile üblich) zu folgen – zu laut singt das Publikum mit. Dass eine Menge so textsicher und lautstark mitsingt, selbst bei den unbekannteren Stücken, ist beachtlich und beweist noch einmal diesen besonderen Stellenwert, den Conan Gray bei seinen Fans besitzt.

Grund dafür sind bestimmt auch die Texte, die vor allem für die sonst gerne einmal unbeschreiblich plumpe Popmusik außergewöhnlich clever mit Worten umgeht. Bereits sein erster Erfolgssong „Lookalike“ beschreibt selten feinfühlig die Tatsache, dass für manche Menschen niemals Gefühle vergehen, auch wenn es die Zeit tut. Vielleicht ist es genau dieser „weake“, dieser ehrliche Umgang mit Gefühlen, der Gray auch in Generationen, die die Volljährigkeit überschritten haben, weiterbringt – nicht die tausendsten Lieder über die große Liebe, sondern eher Songs darüber, dass die große Liebe noch aussteht, wie in „People Watching“.

Am Ende verabschiedet sich Conan Gray mit seiner Zugabe „Heather“ nach rund 80 Minuten von der Bühne und hinterlässt ein grundzufriedenes Publikum mit einem astreinen Konzert, das wohl alle Erwartungen erfüllt haben sollte. Natürlich ist es ein durchkonzipiertes Konzept, natürlich gibt es Spontanität höchstens in den Ansangen – aber die romantisierte Vorstellung vom unbekannten Dreamo-Jungen, der Songs an der Gitarre zupfend im heimischen Bett komponiert, sollte man spätestens seit seinem Auftritt beim Coachella-Festival auf der Mainstage sowieso verwerfen. Und auch in Europa ist Conan Gray einen Radiohit vom absoluten Durchbruch entfernt – zu vergönnen wäre es ihm, das musikalische Potenzial für das „nächste große Ding“ hat er allemal.

Setlist: Wish You Were Sober / Telepath / Comfort Crowd / Fight Or Flight / Astronomy / The Cut That Always Bleeds / Memories / Checkmate / Overdrive / Affluenza / The Story / Lookalike / Little League / Jigsaw / People Watching / ManiacZugabe: Heather

Bericht: Ludwig Stadler