„Mit Fantasie ist alles möglich“ – „Cinderella“ im Prinzregententheater (Kritik)

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„Ich habe das Gefühl, ich könnte die Welt verändern.“

Dieses Zitat beschreibt die Zuschauererfahrung des Publikums in der neuen Musicalproduktion „Cinderella“ der Theaterakademie August Everding sehr passend. Das Broadway-Musical „Cinderella“ von Rogers & Hammerstein feierte am 31. Oktober 2018 mit seiner Premiere im Prinzregententheater seine deutschsprachige Erstaufführung und ist dank der musikalischen Glanzleistung des Münchner Rundfunkorchesters unter der Leitung von Joseph R. Olefirowicz, der großartigen Arbeit von Regisseur Andreas Gergen und dem Talent und der Begeisterung der Musicalstudenten der Akademie ein voller Erfolg. Mit der Inszenierung zelebriert die Theaterakademie August Everding ihren 25. Geburtstag und zusätzlich den 90. Geburtstag ihres Namensgebers, der bereits 1999 verstorbene August Everding, weshalb der Aufführungsort auch das Prinzregententheater anstelle des sonst üblichen Akademietheaters ist.

© Jean-Marc Turmes

Cinderella ist eine einfache junge Erwachsene, die in einem Technoclub arbeitet, während alle um sie herum feiern und tanzen. Während sie leere Bierflaschen aufsammelt, verliert sie ihren Turnschuh, ein netter junger Mann hebt ihn auf und gibt ihn ihr zurück. Dieser Moment ist Dreh- und Angelpunkt der Produktion, denn Cinderella wünscht sich, das ganze Leben könnte genau so sein wie in diesem Augenblick, in dem ein simpler Akt der Freundlichkeit den Tag eines Menschen um ein wesentliches besser machen kann. Gleichzeitig beginnt hiermit aber auch die traditionelle Handlung des allseits bekannten Märchens, jedoch in modernerem Umfeld. Es spielt nach wie vor in einem Königreich und (Cinder-)Ella wird auch nach wie vor von ihrer Stiefmutter und ihren Stiefschwestern tyrannisiert, jedoch gibt es neue Figuren: Jean-Michel, ein Revolutionär, dem es noch an Selbstbewusstsein fehlt, der aber mit seinen Ideen das Leben aller im Königreich verbessern will, sowie der Thronverwalter Sebastian, der seit dem Tod des Königspaares die Regierungsgeschäfte für den mittlerweile erwachsenen Prinz Christopher übernommen hat und seine Vorteile aus dem Vertrauen des Prinzen und seiner übertragenen Macht zieht.

© Jean-Marc Turmes

Wie im Märchen begegnet Cinderella ihrem Umfeld mit unendlicher Freundlichkeit und Unterstützung, versucht aber dennoch sich aus ihrem perspektivlosem Leben wegzuträumen. Als bekannt wird, dass der Prinz einen Maskenball veranstaltet, sind nicht nur Ellas Schwestern und Stiefmutter aus dem Häuschen, denn Jean-Michel berichtet Ella seine Idee, sie könnte auf dem Ball dem Prinzen von den miserablen Lebensbedingungen der armen Bevölkerung erzählen und damit eine Veränderung bewirken. Mithilfe der verrückten alten Frau Marie, die sich als eine gute Fee mit den Fähigkeiten einer fähigen Modeberaterin herausstellt, kann Ella auch tatsächlich zum Ball. Sie trifft Prinz Christopher, tanzt mit ihm, verliebt sich in ihn und erzählt ihm kurz vor ihrer Flucht (wir erinnern uns, nach dem letzten Glockenschlag um Mitternacht ist der Zauber der guten Fee null und nichtig) von der armen Bevölkerung, der Landenteignungen bevorstehen. Prinz Christopher kontrolliert daraufhin die Politik seines Thronverwalters und nimmt die Regierungsgeschäfte in die eigenen Hände, nachdem er erfährt, was Sebastian der Bevölkerung seines Königreiches antut. Um Ella wiederzufinden, lässt er außerdem ein Festmahl veranstalten, auf dem er sie dann auch tatsächlich wiederfindet, jedoch gelten die gleichen Spielregeln wie zuvor, um Mitternacht muss Ella fliehen, aus Angst, dass Christopher ihre niedere Herkunft entdeckt. Diesmal hinterlässt sie jedoch einen ihrer Schuhe, sodass der Prinz sie wiederfinden kann. Ella und Christopher sind von diesem Zeitpunkt an das glückliche Liebespaar und Ella verzeiht sogar ihren Schwestern und ihrer Stiefmutter. Ende gut, alles gut.

Die Produktion der bayrischen Theaterakademie besticht zum Großteil durch die Bilder, die das Ensemble im Verlauf des Stücks immer wieder zaubert. Dafür werden unter anderem 380 Bierkästen der Hofbräu Brauerei immer wieder so platziert, dass sie mal ein Pferd, mal eine Kuckucksuhr oder auch einen Thron darstellen. Das Publikum kann durch die einfallsreichen Darstellungen das zunächst mager wirkende Bühnenbild – eine Treppe mit 34 Treppenstufen – zu einer vollkommenen Bildkomposition zusammensetzten, auch wenn diese Art des Bühnenbilds zunächst ein bisschen ungewohnt ist. Die Kostüme sind darüber hinaus ein weiteres Puzzlestück, das diese Inszenierung so sehenswert macht: die ausladenden Kleider der höfischen Gesellschaft sind pompös und vor allem farbenprächtig, erst bei genauem Hinsehen fallen Details wie Sprechblasen aus Comicbüchern oder andere Motive der Pop Art auf. Auch Ellas fabelhaftes Ballkleid besteht, wirft man einen zweiten Blick darauf, nicht nur aus verschiedenen, zusammengewürfelten Stoffen, sondern auch aus Plastiktüten. Diese Kleider stehen im starken Kontrast zur Kleidung der arbeitenden Bevölkerung, die alltagstauglich einfach ist und eintönig erscheint.

© Jean-Marc Turmes

Zwar sind Bühnenbild und Kostüme durchaus märchenhaft, jedoch werden auch die in der Vorlage vorgegebenen Motive umgesetzt und teilweise noch stärker herausgearbeitet. Die Freundlichkeit, die Ella der merkwürdigen Obdachlosen Marie entgegenbringt, wird später durch die Hilfe der guten Fee belohnt und auf dem Ball zieht Ella die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich, weil sie sich weigert, beim spielerischen gegenseitigen Heruntermachen zu ihrer Gegnerin gemein zu sein. Sie gibt an, dass „Freundlichkeit […] jetzt in Mode [ist]“ woraufhin sich alle Gäste nur noch mit Komplimenten überschütten. Generell wird mithilfe Ellas Verwandlung die starke Spaltung der Gesellschaft im Königreich gezeigt. Beispielsweise ist der Ball nicht nur dazu gedacht, Prinz Christopher eine Braut auszusuchen, sondern das Fest wird vom Thronverwalter Sebastian dazu instrumentalisiert, die Bevölkerung von ihrer eigenen Unzufriedenheit abzulenken, damit keine Revolution entsteht. Theoretisch dürfen nämlich alle jungen Frauen im Königreich an Ball teilnehmen – jede bekommt ein goldenes Ticket – aber es gibt eine Einschränkung: die Gäste müssen alle gut gekleidet kommen, also fallen alle Frauen weg, die nicht die finanziellen Mittel haben, sich ein Ballkleid zu kaufen. Sebastian kontrolliert hierdurch genau, welche Untertanen Prinz Christopher kennenlernt und hält ihn gleichzeitig davon ab, die wahren Probleme der Bevölkerung zu erkennen. Dies ändert sich, nachdem Ella ihm Jean-Michels Nachricht von der Ungerechtigkeit und der Armut in der Bevölkerung erzählt. Schlussendlich will Christopher sogar eine Wahl veranstalten lassen, um das neue Amt des Prime Minister einzuführen. Neben dieser Gesellschaftskritik werden auch besonders unabhängige, starke Frauen gezeigt, die mehr drauf haben, als nur auf ihren Prinzen zu warten. So wird die gute Fee Marie kurzerhand handwerklich tätig, nachdem der Zauberspruch mit dem Kürbis nicht klappen will und baut Ellas goldene Kutsche selbst aus Einkaufswägen zusammen. Auch Ellas Stiefschwester Gabrielle löst sich aus den für sie bestimmten Plänen ihrer Mutter und verlobt sich mit Jean-Michel, woraufhin sie von ihrer Mutter rausgeschmissen wird, was sie jedoch nicht kümmert. Gabrielle unterstützt von diesem Zeitpunkt an Ellas Bemühungen um den Prinzen und hilft Jean-Michel bei seiner Kandidatur zum Prime Minister.

Bei aller Professionalität der Inszenierung darf man nicht vergessen, dass es sich hierbei um Studenten in einer ihrer Schulaufführungen handelt. Das hohe Niveau an Gesangskunst, Tanz und Schauspielerei, welches die Darstellerinnen und Darsteller in dieser Produktion zeigen, ist bemerkenswert und spricht für den hohen Grad an Professionalität und Kunstbegeisterung an der Theaterakademie August Everding. Dem gesamten Ensemble gelingt es, die teils schrille Welt ihrer Cinderella als natürlich zu präsentieren und die bekannte Geschichte wieder interessant zu machen. Allen voran glänzen dabei Tamara Pascual (Ella), Patrizia Unger (Charlotte, die zweite Stiefschwester) und Sophie Mefan (Marie), die jedoch nur die Kirsche auf dem Sahneeisbecher sind. Insgesamt ist diese Produktion des Broadwaystücks „Cinderella“ ein großartiges Erlebnis mit viel Humor, Charme und Optimismus, das auch für Familien mit Kindern sehr gut geeignet ist.

Kritik: Anna Matthiesen