Die Kennzeichenvielfalt auf dem Parkplatz deutet schon an, dass im Backstage heute, am 23. Februar, nicht irgendwer gastiert. Aber wer? Man sieht Menschen im klassischen Sweater-Jeans-weiße Stiefel-Ami-Death Metal-, im Eldery-Metal-Dad-, im „Ich komm grad vom Büro“-, im „Es ist zwar kein Festival aber ich verkleide mich trotzdem“-, im „You know me by my ear tunnels, vans and cap“-Look. Menschen jeden Alters, vom Veteran bis zum Hot Topic-Boy – alle vereinigt unter dem Banner der Schlachtergilde aus Buffalo-via-Tampa, Cannibal Corpse.
Bevor diese aber um 22 Uhr vor das wartende Backstage Werk treten, darf man sich noch No Return und The Black Dahlia Murder anhören. So ganz fehlerfrei scheint der halbstündige Auftritt der französichen Death-Thrasher nicht über die Bühne zu gehen, die zwar einen ganz passablen Heizstab für das sich allmählich formierende Publikum abgeben, außer ein paar Aufhorch-Momenten aber etwas austauschbar klingen. Dass aber heute gelehrige Kritikermeinungen nicht gefragt sind, sondern erklärtermaßen Party und Amüsement auf der Agenda stehen, beschert No Return doch einiges an Zuspruch und kreiselnden Matten.
Kreiselnde (und crowdsurfende) Menschen gibt es dann spätestens zu The Black Dahlia Murder, die wenig später die zweite Schicht der Bühnenaufbauten enthüllen. Nicht nur am Sound zeigt sich, dass man es hier mit einem ganz anderen Biest zu tun hat: Bei kompakter Spielzeit entfesseln die Melo-/Core-/Deather hochglanzpolierte Sprengkraft, gebündelt in Sänger Trevor Strnad: Der MS-DOS-Manfred dirigiert fröhlich grinsend seine Mannen mit exaltierten Wedelbewegungen – und lässt stimmlich in Sachen keifende Killerheuschrecke absolut nichts anbrennen.
Auf Cannibal Corpse muss man etwas länger warten – die Leute beweisen Flexibilität und jubeln eben dem Soundmenschen zu. Oder gestalten das Bierholen zum „300“-Reenactment. Muss nicht sein, oder? Denn Zeit zum Austoben bietet die kannibalische Setlist allemal. Den Auftakt macht die neue Single „Code Of The Slashers“, mit der die Messlatte gesteckt ist, an der sich die folgende Hitliste unermüdlich abarbeitet. Arbeit, ja schweißtreibende Arbeit liefert die Band, allen voran natürlich George „Corpsegrinder“ Fisher, der seinen Hals/Kopf wie ein Kardangelenk kreiseln lässt und meist hinter seinen Haaren hervorbrüllt, was er eben zu brüllen hat. An seiner Seite steht Alex Webster über seinen Bass gebeugt wie eine Näherin über eine komplizierte Stickarbeit. Aber auch das Publikum schenkt sich nichts. Praktisch durchgehend wird in wechselnden Intensitätsgraden gemosht.
Einen besonders hohen solchen erreicht das Ganze mit „Kill Or Become“: Hier scheint die rabiate Energie, mit der die Kannibalen die Halle fluten, fast greifbar. Für alle Lars von Trier-Fans gibt es „I Cum Blood“, aber auch einige andere Klassiker aus der kannibalischen Frühzeit, unter anderem „Stripped, Raped And Strangled“, zu dem sich Trevor Strnad zum Duett einstellt. Nachdem Corpsegrinder sich mit seinem üblichen Abschiedsspielchen („Wollt ihr noch einen Song?“ – Ja! – „Kriegt ihr aber nicht“ – … – „Ich hab gelogen, das war gar nicht unser letzter Song, höhöhö“) in die verwirrenden Bereiche der höheren Mathematik vorwagt, setzt es als Abschluss, unvermeidlich wie der Tod, „Hammer Smashed Face“. Zeit, noch einmal eskalative Energien abzurufen, dann ist es aus: Wer noch nicht genug hat, hat die vielen Möglichkeiten zur Verausgabung, die heute geboten wurden, schlicht nicht wahrgenommen.
Wer die Band an diesem Abend zum ersten Mal erleben konnte, konnte feststellen: Cannibal Corpse sind zugleich weniger und mehr als ein Trademark, ein Meme, ein Platzhalter für ein ganzes Genre, nämlich: Eine (gewöhnliche) Band. Dafür aber eine verdammt starke, eine Live-Gewalt mit der aufopferungsvollen Routine eines mächtigen alten Dieselaggregats.
Setlist: Code of the Slashers / Only One Will Die / Red Before Black / Scourge of Iron / Evisceration Plague / Scavenger Consuming Death / The Wretched Spawn / Pounded Into Dust / Kill or Become / Gutted / Corpus Delicti / Devoured by Vermin / A Skull Full of Maggots / I Cum Blood / Make Them Suffer / Stripped, Raped and Strangled / Hammer Smashed Face
Bericht: Tobias Jehle
Bilder: Ingo Höchsmann
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