„Für 15 Minuten gab es die Band nicht mehr“ – Johannes Eckerström von Avatar im Interview
Als ein paar schwedische Schüler 2001 die Band Lost Soul gegründet haben, war kaum abzusehen, dass diese Gruppe unter dem Namen Avatar auch 24 Jahre später noch auf der Bühne stehen wird und nun ihr zehntes Album veröffentlicht. „Don‘t Go In The Forest“ heißt der Longplayer, der passenderweise seit Halloween 2025 überall anhörbar und erreichbar ist. Die bewährte Mischung aus hartem Metal, klassischem Heavy Metal und zahlreicher weiterer Einflüsse bleibt bestehen, dieses Mal geht es in der Ästhetik und Musik wieder etwas Düsterer zur Sache. Was sich die Schweden genau bei dem Werk gedacht haben und wie die Musik auf ihrer ausgedehnten Europa-Tour 2026 auf die Bühne gebracht wird – am 5. März 2026 kommen sie in die TonHalle München –, erzählt uns Sänger Johannes Eckerström im Interview. Viel Spaß beim Lesen!
Kultur in München: Hallo Johannes! Du bist gerade auf Promoreise für „Don’t Go In The Forest“. Wie läuft es und wie geht es dir?
Sehr gut! Das letzte Mal, dass wir eine Promoreise gemacht haben, war vor der Pandemie. Und dann haben wir uns alle an Zoom gewöhnt. Also jetzt wieder sowas machen zu können, ist ein bisschen Luxus und eine lustige Erfahrung. Auch weil wir keine Top 40-Popband sind, das heißt, unsere Promoreisen sind nicht drei Monate lang, sondern eine Woche und das ist eine gute Länge, um alles genießen zu können und sich ein bisschen wichtig zu fühlen.
Kultur in München: Das ist doch gut. Vielleicht seid ihr keine Top-40-Popband, aber doch in den letzten Jahren sehr ordentlich gewachsen. Wir haben uns das erste Mal 2016 zu Feathers & Flesh-Zeiten in München getroffen. Da habt ihr in der Backstage Halle vor 400 Leuten gespielt und es war das erste Mal, dass ihr eine bisschen größere Produktion auf Europatour gebracht habt. Das ist knapp 10 Jahre her, die Headliner-Touren sind immer größer geworden, Support-Shows mit Iron Maiden, mit Metallica kommendes Jahr. Eure nächste Tour führt euch in München in die TonHalle mit 2000 Leuten.
Ja, wenn wir alle Tickets verkaufen.
Kultur in München: Hoffentlich! Ich dachte mir, nachdem wir damals einen Blick zurück bis zu eurem Durchbruch-Album „Black Waltz“ gemacht haben: Wie ist es jetzt, wenn du auf die Zeit seit dem Durchbruch zurückblickst?
Es ist schwierig, da eine Perspektive zu haben, weil wir jeden Tag da sind und man merkt immer nur kleine Unterschiede, nur ab und zu passiert was. Eine dieser Sachen war hier in Deutschland, wir haben auf dem Summer Breeze gespielt und es war eins der ersten Male, an denen wir spät und in der Dunkelheit auf einem europäischen Festival gespielt haben. Lustig auch, dass du München nennst, weil so viele Teile der erfolgreichen Reise in 2013 mit Avenged Sevenfold anfingen. Wir hatten die Hälfte der Tour gespielt und es war okay, doch dann kamen all diese neuen Ideen, neue Setlist, wir haben kleine Sachen geändert und andere Sachen ausprobiert, die Shows sind sofort besser geworden. Das fing in München an. München war immer ein Stronghold für uns in Deutschland. Die größte deutsche Show war jahrelang immer in München, dann wurde Frankreich immer größer, UK, Spanien und so weiter. Und das war wirklich so, wir wollen ja nicht in Schweden, sondern müssen in Deutschland mehr Erfolg haben. Das steht im Grundgesetz, wie bei Mando Diao. Also um es zu reflektieren: Es ist harte Arbeit, und das große Geheimnis ist, nicht aufzuhören. Aber das ist eine gefährliche Wahrheit. Wir sind jetzt mindestens auf einem Level, wo es in meinem Alter nicht peinlich ist zu sagen, dass man in einer Band spielt. Mit 39 Jahren kann so eine Aussage auch ganz viel bedeuten. Aber ich denke, auch wenn wir total versagt hätten, hätten wir trotzdem weitergemacht. Aber so: Glück gehabt!

Dennoch ist es schwierig, das zu reflektieren. Meistens sind wir täglich da und ich kann jede Stunde im Proberaum zusammenrechnen und alles, was inzwischen passiert. Das ist einfach unser Leben geworden. Ein Teil von uns denkt, und das ist bei allen Bands so: Du wirst immer 17 Jahre alt im Gehirn bleiben und dir denken, dass du es mit deiner Band schaffen willst. Aber wenn man es dann geschafft hat, dann bewegt sich der Horizont immer weiter. Du kommst nie an dein Ziel an.
Kultur in München: Aber es hat sich ausgezahlt, oder? Also es hat sich gelohnt?
Oh ja, natürlich. Das ist die Grundbeschreibung des Berufs, den wir haben wollen und dem, warum wir täglich immer auf die Bühne gehen. Wir wollen unsere eigenen Lieder schreiben, uns selbst aufnehmen und auf der Bühne spielen, und dann sehen, was auch immer da rauskommt. Unsere eigene Kunst so weit wie möglich bringen, karriereweise, auf eine Art, in der wir Freunde bleiben.
Kultur in München: Jetzt bringt ihr viele neue Ideen raus in Form eines Albums: „Don’t Go In The Forest“. Ich finde tatsächlich, dass das euer stärkstes Album seit „Black Waltz“ ist. Der Grund: All Killer, No Filler. Jeder Song zündet, jeder Song funktioniert. Auch wenn vieles düster ist, fühlt sich das komplette Album gar nicht nur düster an. Es gibt eine sehr große Range. Trotzdem habt ihr euch für eine düstere Ästhetik entschieden. Das geht in Richtung Pennywise durch den roten Ballon. War das euer Ziel, diese Stephen King-Ästhetik reinzubringen?
Das ist ein bisschen von selbst passiert, weil ich diesen Clown-Ausdruck so lange benutzt habe. Es fing mit „Black Waltz“ an, dass ich im Musikvideo meinte, ich könnte eine Art Horrorclown sein. Und durch die Jahre habe ich Ballons ab und zu auf der Bühne benutzt. Erst nachdem alle Fotos fertig waren und wir den Ballon eher als Omen gesehen haben, dass wir unterwegs sind, dann plötzlich haben wir es gesehen: oh, ja, das ist Stephen King. Kurzzeitig ein bisschen vergessen. Es ist immer eine Mischung von Charakteren, ich heiße ja auch Johannes auch auf der Bühne, weil ich mich nicht wie eine andere Person fühle, nur eine freiere Version von mir selbst. Aber ja, ein bisschen Beeinflussung kommt von ganz vielen verschiedenen Stellen: Pennywise, aber auch Joker, vor allem, wenn Mark Hamill die Stimme macht. Das war meine Kindheit: Batman, Jack Nicholson, aber auch Clockwork Orange, The Crow, Wrestling, alle traditionellen Zirkusclowns. Es ist eine Mischung von allem, was mich inspiriert hat.

Kultur in München: Vor allem bei eurem Album „Schlacht“ bin ich viel hängengeblieben. Das ist ein tolles Album, aber es hat natürlich sehr wenig mit eurer jetzigen Richtung zu tun. Ich glaube erstmals geht es mit eurem Selftitled-Album in die heutige Richtung.
Ja genau, mit dem dritten Album fing die Veränderung an. Wir wollten eigentlich nie nur diese Technical Melodic Death Metal Band sein. Mit Schlacht haben wir einen natürlichen Zielpunkt für den Stil für uns gefunden: Die meisten Lieder waren super schnell, kurz, intensiv, aber trotzdem gleichzeitig melodisch. Das macht auch Spaß, aber gleichzeitig wollten wir eigentlich was anderes, mehr Oldschool Heavy Metal, aber mit diesen Extreme Metal Roots. Nur waren wir beim dritten Album immer noch ein bisschen jung und dumm und hatten diesen Gedanken, dass es hoffentlich jemand mag. Bei „Black Waltz“ waren wir in einer anderen Periode, schon uralte Männer mit 24 Jahren. Ich hatte eine Quarter-Life-Crisis, und John und ich saßen in einer Kneipe. Mit dem Alter kommt die erste Runde, in der Freunde und Leute, die man kennt, die mit der Universität fertig sind, richtige Jobs haben, sich ein Auto gekauft haben. Und da war so deutlich, was wir verpasst haben. Das sah plötzlich nicht so schlecht aus, weil wir dagegen besoffen und pleite waren. Dann gab es eine 15-Minuten-Periode, in der es die Band nicht mehr gab. Wir wollten aber noch das Lied „Dying To See You Dead“ fertigmachen. Also Reunion! Und das Versprechen, dass wir uns nie wieder Sorgen machen, was andere Leute von uns denken werden, sondern klarmachen: Das ist unser letztes Album, unsere letzte Chance. Nur eben mit der Frage, was für uns wichtig beim letzten Album ist. Und das war eine viel bessere Einstellung und eine ganz andere Attitude, das hat natürlich dann mit viel mehr Menschen resoniert. Ich glaube, man sieht es ja auch jetzt bei „Don’t Go In The Forest“ bei dieser Range an Songs, also sowas wie „Howling At a Waves“ hätte ich wahrscheinlich nicht gemacht in der „Schlacht“-Ära. Jedes Mal muss es was sein, dass wir nur jetzt gerade tun und nie wieder so sagen und spielen können.
Kultur in München: Daraus entsteht dann so etwas wie zum Beispiel euer Titeltrack „Don’t Go In The Forest“. Der Refrain ist ein unfassbar großer Ohrwurm. Dennoch ist der Song mehr als der Refrain, sondern sehr vielseitig aufgestellt. Ist das dann so ein Beispiel dafür, wo jeder etwas dazu gibt?
Ja, vor allem dieses Lied. Das ist eine Mischung von Ideen, die lange Zeit kein Heim gefunden haben. Vielleicht in der „Hunter Gatherer“-Zeit, irgendwo in dieser Periode, gab es den Refrain und er war toll. Der Rest des Lieds, vor allem der Gesang, fand keinen richtigen Weg. Das Main Riff war eine alte Idee von Jonas, das war immer auf der Gitarre geil, aber eine lange Zeit schwierig, den richtigen Beat und die Geschwindigkeit dafür zu finden. Aber wir haben einen Rhythmus gefunden, das hat sich gut mit dem Chorus zusammengefügt. Der Pre-Chorus ist auch von Jonas. So war es, Jonas hat dann den Chorus von Tim geklaut. Und das Klauen ist ein sehr wichtiger Teil des Prozesses. Wir haben alles versucht, aber es ist nie so gut geworden; dann plötzlich 3-4 Jahre später sitzen wir im Bus und Jonas und ich haben eine Lösung dafür gefunden. Das sind auch meine Lieblingsmomente auf dem Album, dieser Kollektiv-Klau. Ich finde für dich einen Weg, du findest für mich einen Weg.
Kultur in München: Das Album heißt „Don’t Go In The Forest“, was eine Warnung ist, aber was steckt hinter dem Titel? Eine Warnung kann man auch ignorieren und dann erst recht hineingehen. Was ist es für euch?
Als Titel ist es natürlich mehrdeutig. Es gibt ein Tabu, das will man natürlich unbedingt erforschen und erfahren. Und dann natürlich der Aspekt, dass Heavy Metal auch Spaß macht, eine gute Zeit mit Moshpit und „fists in the air“, es ist diese komische Balance. Wir machen eine Form von Unterhaltung mit all diesen Bestandteilen. Die Idee des Titels ist, dass man sich so in einem Wald verläuft und da, tief in Dunkelheit, in der Mitte der Nacht im Wald, steht ein Zirkuszelt. Licht und Musik kommen da raus und das ist dann die Welt von Avatar. Im Wald. Es sind diese hellen Punkte, an denen man sich festhalten kann. Die guten Zeiten und komische Balance, wenn man von Tod, Gewalt, Schmerz, Angst und Wut singt, aber gleichzeitig Spaß hat. Und das findet man im Wald.
Kultur in München: Das ist nun euer zehntes Album. Ihr spielt live schon um die zwei Stunden, eine ordentliche Länge, aber dennoch sind zehn Alben eine riesige Menge. Gerade, wenn ihr auch ein paar Deep Cuts einbauen wollt: Wie geht ihr da ran?
Es gibt fast eine Formel dafür: Wir versuchen, eine Liste zu machen – so kurz wie möglich, mit den Songs, die wir spielen müssen. Das heißt nicht, dass wir es nicht wollen, aber es spielt keine Rolle, ob wir es wollen. Wenn man das Publikum respektiert und das, was wir schon geschafft und uns zusammen mit unserem Publikum aufgebaut haben, muss man die glasklar spielen: „Bloody Angel“, „Hail The Apocalypse“, „Smells Like A Freak Show“. „The Dirt I‘m Buried In“ ist jetzt das neueste auf der Liste. Das ist etwa ein Drittel, und dann natürlich das neue Album. Da wollen wir mehr als nur 1-2 Lieder spielen. Und nicht nur Singles, sondern auch ein paar, die uns besonders Spaß machen. Ich will zum Beispiel Klavier auf der Bühne spielen. Das kommt also dazu. Und dann das letzte Drittel. Da kann man das Publikum in Gruppen teilen: Der eine will mehr diesen emotionalen Teil, wo man ein bisschen dazu weinen kann. Dann machen wir bestimmte Songs für diese Person. Und dann haben wir wiederum Leute, die wollen schnelle Lieder, Crowdsurf, Moshpit, Gewalt. Auch das kommt rein. Und dann haben wir ein wenig Verspieltes, dann vielleicht was ganz Rares. Es ist inzwischen eine Mischung aus Liedern, die alle haben wollen, und dann eben die Lieder, die ein spezieller Teil des Publikums haben will. Es gibt auch immer mindestens zwei Lieder, wo wir uns denken: Das wollen wir jetzt wirklich machen, das wird uns Spaß machen und deswegen wird es auch für euch ein Spaß. Außerdem gibt es Lieder, die pausieren auch mal 200 Shows, für ein bisschen Wechsel. Es ist schön, wenn man Lieder wegenimmt, die ein bisschen wehtun. Aber klar: Black Sabbath muss „Paranoid“ spielen.

Kultur in München: Eine letzte Frage, auf die Tour bezogen, aber gerne auch auf die München-Show am 5. März 2025 in der TonHalle: Was darf man erwarten?
Eine neue Bühne mit vielen neuen Ideen, die realisiert werden. Unser Job ist, dass wir genug Energie bringen, um das Publikum zu entzünden, dass wiederum wir entzündet werden. Und am schönsten ist immer, wenn irgendwas nicht im Publikum oder auf der Bühne, sondern zwischen uns passiert. Die Connection zu kreieren. Klar, wir haben Lightshows, Kostüme, Bühnenbild, es ist auch sehr modern und technisch, aber ich glaube die Connection zum Urmenschen, also zusammen im Kreis am Feuer zu sitzen und zu singen, das ist das Wichtigste und etwas Spirituelles. Es ist eine etwas abstrakte Antwort, aber du kennst diese Shows, bei denen du warst und das passiert ist. Nicht wie im Theater oder der Opera mit passivem Publikum. Das ist auch eine legitime Kunstform. Aber unsere Kunstform ist es, diese Connections aufzubauen, den Austausch von Energie. Wenn jeder sitzen und niemand singen würde, das wäre wahrscheinlich sehr komisch für uns.
Kultur in München: Wenn bei einer Oper plötzlich alle mitsingen würden, wäre es auch furchtbar. Danke für das Interview! Alles Gute, wir freuen uns auf die Tour!
Interview: Ludwig Stadler


