Es schien ein wenig Verwirrung im Vorfeld des Amenra-Konzerts am vergangenen Mittwoch, den 13. April zu herrschen: Würden die Belgier wieder für eine Akustik-Show anreisen oder aber ihre Songs in voller verstärkter, verzerrter, gebrüllter Pracht spielen? Es war, so stellte sich heraus, kein Konzert zum Sitzen, weder für die Band noch für das Publikum.
Als Support-Act haben sich Amenra die Solo-Cellistin Jo Quail ins Boot geholt, die pünktlich um 20 Uhr die Bühne betritt und der noch eher locker gefüllten Freiheitshalle entgegenblinzelt. Wir konnten die Musikerin vor rund drei Jahren schon zusammen mit Mono und Årabrot erleben und auch heute stellt sie wieder eindrucksvoll unter Beweis, wie sie ihr Instrument in Konjunktion mit Effektpedalen und Loopstation nicht nur vielstimmig, sondern auch unerwartet (und) lebendig zum Klingen bringen kann. Ihr bis auf einen rudimentären skelettalen Holzkörper dekonstruiertes Cello ruht aufrecht aufgebockt auf einer Art Rohrkonstruktion. Die Leerstelle des analogen Resonanzkörpers füllen allein die spannungsgeladenen Saiten, die Jo Quail mit dem Bogen, aber auch mit den bloßen Händen traktiert und mit jedem Zugriff neue, unerwartete Töne produziert, die sie kunstvoll ineinander webt, gegeneinander aufbringt, durcheinander manipuliert. Wiewohl prinzipiell – wie alle loopenden Solokünstler – der Linearität der Songstruktur verpflichtet, kitzelt Quail das Äußerste aus dieser Einschränkung heraus und macht den Gang durch die Einbahnstraße zum Ausdruckstanz. Das sich zunehmend verdichtende Publikum entlässt die Britin nach kurzweiligen 45 Minuten mit reichlichem und herzlichem Applaus.
Nicht länger als 30 Minuten müssen die Zuschauer sich gedulden, ehe es ernst wird. Drummer Bjorn Lebon stiftet mit zwei Eisenstäben einen rudimentären, hypnotischen Rhythmus, um den herum Mathieu Vandekerckhove, Lennart Bossu (Gitarren) und Tim De Gieter (Bass) den sich immer mehr intensivierenden Prolog von ›Boden‹ anstimmen. Als dann die atmosphärische Versiegelung aufbricht und das Stück mit einem Schlag sein ganzes eruptives Potential freisetzt, vorangetrieben von Colin Van Eeckhouts Schreigesang, ist es ein atemberaubendes Erlebnis, gerade nach so langem nur spärlich flammenden Konzertbetrieb. Was folgt, ist ein kompaktes, elektrisierendes Exerzitium. Die Band zeigt sich bei ausgezeichneten Soundverhältnissen in bester Verfassung. Vor allem Van Eeckhouts müheloses Changieren zwischen Screamen und verletzlichem Klargesang muss hervorgehoben werden. Neben Publikumslieblingen wie ›Razoreater‹ und ›A Solitary Reign‹ spielen Amenra auch zwei Songs von ihrem aktuellen Album De Doorn (was bei der durchschnittlichen Länge der Stücke nicht wenig ist), von denen besonders ›De Evenmens‹ mitreißt. Wie stets unterlässt die Band jegliche Interaktion mit dem Publikum, gehüllt in Kunstnebel und ins Zwie- und Irrlicht von großformatig projizierten schwarzweißen Visualisierungen und Videosequenzen, die die Musik weniger in ihrer markigen Motivik, als in ihrer unsteten, düsteren Licht- und Schattengebung passend untermalen. Mit ›Diaken‹ ist Schluss, eine Zugabe gibt es (natürlich) nicht und braucht es auch nicht nach diesem intensiven, fordernden, euphorisierenden Konzert.
Setlist: Boden / Razoreater / Het Gloren / Plus près de toi (Closer to You) / Terziele / Am Kreuz / De Evenmens / A Solitary Reign / Diaken