„these are difficult times“ – Snarky Puppy in der Muffathalle (Kritik)

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Wie nur selten, wenn Jazz im Spiel ist, schieben sich an diesem Mittwoch, dem 27. November 2019, die Massen in die Muffathalle unweit der Münchner Museumsinsel. Auf dem Programm: Die Band Snarky Puppy, ihres Zeichens ein Kollektiv aus insgesamt über 30 jungen und experimentierfreudigen Jazz-Musikern. Die über sieben Monate lange „Immigrance“-Tour haben sich die Musiker jedoch aufgeteilt: Beinahe alle Mitglieder haben nur einen Teil der Konzerte begleitet, um dann in einem fliegenden Wechsel anderen Platz zu machen. So zum Beispiel der bekannte Gitarrist Mark Lettieri (erst unlängst mit seinem eigenen Trio im Jazzclub Unterfahrt) oder Saxophonist Bob Reynolds, die beide leider nicht an diesem Abend auf der Bühne der Muffathalle stehen werden. Band-Leader Michael League dagegen hat die ganze Tour begleitet. „Three days left, then we’re finally done“, wird er gegen Ende des Konzertes anmerken – erschöpft, aber auch sichtlich zufrieden. Der Auftritt am 30. November im Nürnberger Löwensaal wird der Tourabschluss sein.

Doch einen Schritt zurück. Um 20 Uhr betreten einige Musiker die Bühne. Doch – Moment – sind das nicht Bobby Sparks und Keita Ogawa von Snarky Puppy an Orgel und Percussion? Und Michael League am Bass? Die britisch-kanadische Singer-Songwriterin Michelle Willis wird bereits von der Hälfte der anwesenden Snarky-Puppy-Mitglieder begleitet. Was daraus entsteht, kann sich hören lassen: rhythmisch anspruchsvoller Funk wechselt sich ab mit stimmungsvollen und ruhigeren Pop-Passagen. Willis ist eine hervorragende Songschreiberin und begleitet sich dabei exzellent am E-Piano. Witzig: Snarky Puppy Trompeter Mike ‚Maz‘ Maher steht ohne Instrument zentral neben der Sängerin auf der Bühne und unterlegt deren Gesang mit tenorischen Zweitstimmen. Bobby Sparks sorgt für Soli mit Nervenkitzel, wenn er dezent und fordernd einzelne Orgelläufe mit gekonnten Pausen versieht, die Raum für verdienten Zwischenapplaus und zustimmende Rufe aus dem Publikum lassen. Viele der Zuschauer sind vermutlich selbst musikalisch aktiv, wie die Reaktionen auf gelungene Instrumentalparts stets nahelegen. Auch ihre Texte muss Willis nicht verstecken: Sie beschäftigt sich mit mäandernden Gedanken in einer schwierigen Zeit, mit Themen der Gerechtigkeit, der Politik: „I hope you wake up real soon“, lässt sie das Publikum mitsingen. Man solle das an jemanden richten, den man so gar nicht leider könne. Während Willis damit vermutlich u.a. die Wählerschaft von Donald Trump meint, hat das deutsche Publikum sicherlich selbst seine eigenen Irregeführten vor den Augen.

© Stella K

Da viele der Musiker bereits für Michelle Willis an ihren Instrumenten waren und der Rest der Bühne bereits flächendeckend bebaut ist, geht der Umbau schnell und mit geringem Aufbau vonstatten, als die Sängerin um 20:45 Uhr die Bühne verlässt. Bereits um 21 Uhr begleitet schallender Applaus die Musiker auf die Bühne der vollen Muffathalle. Den Einstieg macht ein kräftiges, würziges Gitarrensolo von Chris McQueen, der seine Südstaaten-Wurzeln mit der Gitarre seiner Wahl, einer Thinline Telecaster, wohl in Szene zu setzen scheint. Doch McQueen ist natürlich kein Hillbilly-Country-Gitarrist. Der vollformatige Jazzmusiker mit einer Neigung zum deftigen Rock blickt auf eine stattliche Karriere zurück. Jazz-Geiger sind vergleichsweise selten und mit Zach Brock haben Snarky Puppy den vielleicht besten seiner Generation in ihren Reihen. Schrill soloiert er über ruhige und schnellere Parts und legt dabei eine atemberaubende Geschwindigkeit vor. Auch Effektpedale wie das von der E-Gitarre bekannte „Wah“ à la Jimi Hendrix setzt er gewinnbringend ein. Keita Ogawa bringt an der Percussion stets sein kulturübergreifendes Interesse mit ins Spiel. Sein Solo ist schnell und bunt durch den Einsatz vieler verschiedener Instrumente. Erst um 21:35 Uhr begrüßt Michael League das Publikum auch mit Worten, dankt nochmals Michelle Willis und verweist auf das neue Album „Immigrance“. Auf der Bühne ist er stets sympathisch, wirkt sichtlich erfreut und dankbar, dass sein künstlerisches Schaffen derartige Zustimmung erfährt.

© Rosanna Friedmann

Beim nächsten Song nun fordert er das Publikum zum Mitmachen auf. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen Klatschen. Doch wäre Snarky Puppy nicht Snarky Puppy und Michael League nicht einer der besten Bassisten weltweit, wenn er die Leute auf die Eins und die Drei Klatschen ließe. Nein, ein Polyrhythmus soll es sein. Vier gegen drei. Die eine Hälfte des Publikums klatscht einen Dreier-Schlag, während die andere von League angeleitet auf die selbe Taktlänge vier Schläge unterzubringen hat. Trotz einiger Verwirrung bei wenigen Besuchern klappt es insgesamt sogar ziemlich gut. „These are difficult times„, sagt der Bassist und muss lachen. Vorne im Publikum, so League, trage jemand ein T-Shirt mit ebenjener Aufschrift. „Times“ meint nun aber im Englischen nicht nur die Zeit, sondern wird unter Musikern verwendet als Abkürzung für „time signature“, was unserem deutschen „Zählzeit“ oder „Taktform“ entspricht. Das Shirt mit dem Musikerwitz zeige um den Spruch herum nämlich verschiedene schwierige Zählzeiten wie „7/8“ oder „5/4“. Das Publikum scheint dies weitgehend verstanden zu haben, wie das kräftige Gelächter beweist. Viele der Gäste tanzen zu den Stücken und gehen sichtlich auch körperlich mit den Soli und den komplexen, kräftigen Rhythmen mit. Die Stimmung ist locker, aber gleichzeitig auch teils hitzig, aufwühlend, atemberaubend. Den letzten Song krönt ein eben solches „Battle“ zwischen McQueens E-Gitarre und Bobby Sparks‘ verzerrtem Clavinet. Gitarre und Tasteninstrument sind dabei teils nicht mehr zu unterscheiden. Der Effekt zieht. Das Publikum eifert dem Tongefecht lautstark und aufgewühlt mit. Um ca. 22:30 Uhr verlassen die Musiker die Bühne.

Natürlich lassen sie sich zu einer Zugabe hinreißen. Keyboarder Shaun Martin gibt nochmal alles mit Moog und Talkbox, steigert sich in totale Ekstase. Die Zuschauer profitieren von der großen Leinwand hinter der Bühne, auf die Aufnahmen der Kameras projiziert werden, die überall auf der Bühne verteilt sind. Kein Zufall, denn, wie Michael League dem Publikum erklärt, dieser Auftritt werde professionell aufgezeichnet und somit auch in Zukunft zu immer neuem Musikvergnügen zur Verfügung stehen. Vielleicht ein Grund dafür, dass sich viele der Musiker derart in ihre Soli steigern? Um 22:45 Uhr war es jedenfalls ein wirklich wunderbares Konzert, das das Publikum mit dieser ethnisch herrlich diversen Super-Group aus Jazz, Fusion und Funk erleben durfte. Und allen komplexen Tongefügen und „difficult times“ zum Trotz: die letzte Harmonie des Abends ist ein warmer, satter Dur-Akkord.

Kritik: Thomas Steinbrunner