Sonnenschein! Nach etwas regnerischem Start krabbelt die Sonne bereits am ersten Wochenende raus, um das Tollwood Sommerfestival zur Jubiläumsausgabe „30 Jahre Tollwood“ dementsprechend ordentlich zu füllen – kein Wunder, denn Sonntag, Sonnenschein und vielfältige Möglichkeiten locken die Münchner immer raus! Uns lockt es dieses Mal aber nicht nur zum Schlendern über das Gelände mit den hunderten Ständen von Essen und Handel, sondern vor allem in die Musik-Arena zum Konzert einer absoluten Durchstarterin: Lina. Die ehemalige Bibi-Schauspielerin bei den „Bibi & Tina“-Filmen hat ihre Aufmerksamkeit clever genutzt und sofort mit dem nachgelegt, was sie selbst noch lieber macht: Musizieren. Das hatte seinen Erfolg und führte letztendlich dazu, dass sie heute ihr Konzert in der Musik-Arena gibt.
Gut, es lässt sich einfach nicht vermeiden: man kann nicht objektiv von diesem Konzert berichten. Also bin ich gezwungen, die Mauer zu durchbrechen und einen Kommentar in der ersten Person zu verfassen, denn tatsächlich schwirrte mir das auch das gesamte Konzert im Kopf, wie ich zur Hölle daraus einen Bericht machen solle. Dabei beginnt doch alles wunderbar: das Wetter zeigt sich freundlich, das Tollwood unglaublich voll an Besucherschaft und Leben. Bereits im Bus, lauter Familien mit ihren überglücklichen Kindern darin sitzend und Lina-T-Shirts tragend, beschleicht mich das Gefühl, das alles ein wenig unterschätzt zu haben. Die endlos lange Schlange am Seiteneingang bestätigt das nur noch einmal. Gesteigert wird das alles nur beim Betreten der Musik-Arena.
Sofort erkennt man zwei Lager. Ganz vorne, der Bereich der jungen, fast nur weiblichen Lina-Hardcore-Fans, die möglichst nah an ihrem Idol sein wollen, direkt dahinter die Helikopter-Mütter und -Väter. Dann ein wenig Freifläche, die sich erst später füllt – und ganz hinten letztendlich bei den Sitzplätzen die gesamte Elternschar. Da ich nun doch nicht die „ultimate live experience“ suche, wird es ebenso ein Sitzplatz, dank der wunderbaren und durchgehend sehr guten Kamera-Übertragung überhaupt kein Problem und etwas Sicherheitsabstand vom tobenden Zentrum kann nicht schaden. Und so oft wie die Nachbarkids auf und ab rennen und wie verrückt im Innenraum herum springen, wirkt es tatsächlich ein wenig wie ein Abenteuerspielplatz. Das bleibt er auch bis etwa 18:20 Uhr – dann geht mit etwas Verspätung das Licht aus und es ist soweit, die kontinuierlichen „Lina, Lina, Lina“-Rufe erfüllen sich.
„Fan von dir“ tönt aus den Boxen und es wird lautstark mitgesungen. Aber die Stimmen, die klingen doch… achgott, da singen die beiden Mütter neben mir einfach mal lauter als ihre Töchter mit. Und bei der Aufforderung zum Mitklatschen springen sie auf und tun es Linas Worten nach. So richtig ersichtlich, ob jetzt hier die Kinder oder doch eher die Eltern zum Konzert wollten, wird es hier zwar nicht, aber wie kann man denn die Lieblingsmusik der Kids so übernehmen? Kurz davor wurde noch hitzig über die schlimme neue Klassenlehrerin und ihr unfaires Diktat diskutiert – und außerdem, wieso hat Thomas eigentlich beim Kindergeburtstag abgesagt? Frechheit, das liegt bestimmt am Vater, der ist sonst auch so komisch!! Ehrlich gesagt bin ich mir bei den Gesprächen nicht mehr sicher, was ich hier eigentlich suche und wieso ich nicht meine kleine Cousine mitgenommen habe, dann hätte ich immerhin ein gutes Alibi. So sitze ich nun zwischen den grölenden Eltern, vor mir etwa zweitausend feiernde Lina-Fans und.. naja, Lina selbst.
Die weiß, was sie tut, und tut das auch sehr gut. Vielleicht ein wenig zu routiniert und unpersönlich, was etwas an der Einzigartigkeit des Konzerts leidet. Die Songs selbst werden pausenlos, solide und grinsend im Dauerfeuer gespielt, Ansagen gibt es kaum, aber was braucht es die auch? Die Menge johlt doch sowieso. Hier und da fluppt dann auch eine ganz nette Textzeile durch, wie „Ich hab ne 5-Minuten-Terrine, du hast nen 5-Jahres-Plan“, und spätestens, als die zu Erziehenden lautstark das Wort „Scheiß“ brüllen dürfen, ist die Barriere überwunden – trotz manch bösem Elterngesicht.
Angenehm ist in jedem Fall, dass Lina auf eine volle Band und sehr organischen als auch rockigen Sound setzt – ein wenig alte Schule im Sumpf der belanglosen und schnell (über)produzierten Computer-Musik der Social-Media-Kollegen. Auch Lina macht gesanglich alles richtig – ganz im Gegensatz zu ihrem Freund Tilman Pörzgen, der zwar lautstark bejubelt wird, aber gesanglich eher abgestraft werden sollte. Seine unbeholfene Ansage ist genauso dünn wie seine Stimme. Aber mei, es ist halt irgendwie ein wenig romantisch, wenn das Paar aneinander vorbei singt. Dennoch: ein tolles Konzerterlebnis für die Kleinsten und immerhin sollen sie doch lieber die gute Lina hören, anstatt zu Die Lochis oder Lukas Rieger abzurutschen, die ihre 30€-T-Shirts mit „Made in China“-Markerl total bio und fair produzieren. Lasst mal stecken, Jungs.
Ein paar Mädchen beginnen um ihre Mutter im Kreis zu laufen. Ist das noch Fangen spielen oder schon Circle Pit? Ich erkläre das Projekt Lina damit für beendet und verziehe mich dann doch nach einer guten Stunde. Danke liebes Tollwood, dass ihr uns die Möglichkeit dazu gegeben habt, aber hier gelangt dann selbst unser grenzenloses Magazin an.. nunja, seine Grenzen.
Setlist: Fan von dir / Dreist / Egoist / Lieblingslied / Spiel / Das Beste (geht ohne Überlegen) / Ich brauch kein Happy End / Leicht / Zu jung (Tick Tack) / Unterm Strich / Unser Platz / Glitzer / 100 Prozent / Egal / Na und? / X / Nach Haus / Unser Film – Zugaben: Wie ich bin / Ohne dieses Gefühl / Tanzen ist Gold