Ein Klavier-Album mit deutschen Texten – gab es lang nicht mehr, aber auch mit Grund: es gibt kaum Nachfrage. Wenn Interesse besteht, dann an Lockenköpfen, die betrübt mit der Akustik-Gitarre ins Mikrofon säuseln, oder die Instrumente bleiben gleich ganz weg und es gibt reichlich plastischen Pop aus den Boxen. Umso unerwarteter, dass Danger Dan, seines Zeichens Mitglied der Hip-Hop-Gruppe Antilopen-Gang, mit seinem Album „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ nicht nur ein wenig Aufsehen erregt hat – er hat gleich einen ganzen Tsunami geschickt. Wahrlich niemand kam an der gleichnamigen Single vorbei, das Album kletterte an die Spitze der Charts und dürfte problemlos als eines der stärksten Alben des Jahres 2021 gelten. Auch etliche Tourneen später reißt das Interesse nicht ab, deshalb der wagemutige Sprung in die ganz großen Konzerthäuser, Philharmonien und Liederhallen. Am 30. Januar 2023 ging es dazu in die Isarphilharmonie München – seit Monaten restlos ausverkauft.
Natürlich kommt hier gleich der Crossover-Gedanke zusammen: Danger Dan-Publikum meets klassische Konzerthalle? Der Interims-Gasteig HP8 bemüht sich zwar fleißig um ein generationsübergreifendes, hippes Image, weshalb das bunt durchmischte Publikum auch gar nicht so verkehrt an dieser Örtlichkeit aussah, aber dennoch: vorrangig gastieren hier Orchester und große Klassiknamen. Zumindest ein Streichquartett sollte später auch noch die Bühne entern, doch bis dahin übernimmt erstmal der Star des Abends selbst einen Block: Danger Dan. Zu Hildegard Knefs unsterblichen Klassiker „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ spaziert er auf die Bühne, lässt sich fleißig beklatschen und legt alsbald mit „Lauf davon“ um 20:05 Uhr los. Ein großartiges Bühnenbild oder eine ausgeklügelte Produktion gibt es nicht – ein wenig wird sich mit den Lichtern gespielt, besonders bei der völlig umarrangierten Fassung zu „Eine aufs Maul“, die das Publikum begeisternd jubelnd zurücklässt. Doch zu Beginn erst einmal ein paar Werke des Erfolgsalbums: „Topf und Deckel“, „Das schreckliche Buch“ oder das Lied über seine Schul-Odyssee „Ingloria Victoria“. Mittendrin erzählt er Anekdoten, Geschichten zu den Liedern und macht gleich zu Beginn deutlich: Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Faschismus, AfD-Sympathie – das hat hier keinen Platz. Auch in den ganz großen Sälen werden die deutlichen Ansprachen nicht zurückgefahren – oder gar erst recht hochgefahren?
Für einen absoluten Gänsehaut-Moment sorgt Daniel – so hat sich Danger Dan beim Münchner Publikum zu Beginn vorgestellt – etwa in der Mitte des Konzerts, als er über den Verlust von Musik und Kunst im Gesamten im Zweiten Weltkrieg spricht. All die entartete Musik, die verbannt und verbrannt wurde, sei zum Großteil vernichtet, das wenigste noch zu finden und nur mit viel Glück überliefert. Ein Lied aus dieser Zeit, „Mein Vater wird gesucht“, eine Geschichte aus den Augen eines Kindes über die erfolglose Flucht des Vaters, erklingt an diesem Abend in der Isarphilharmonie, rein instrumental gespielt vom Heck Quartett, das von diesem Zeitpunkt an auch auf der Bühne bleibt und im späteren Verlauf die eigenen Kompositionen begleitet und bereichert. Die Spannung im Raum ist grenzenlos und explodiert im folgenden Applaus – fantastisch! Im Anschluss zieht Danger Dan erst einmal ein wenig durch die älteren Stationen seiner Diskografie: „Mingvase“, „Ölsardinenindustrie“ und seinem Nachricht-Antwort-Großwerk über die Zukunft und Vergangenheit, „Private Altersvorsorge“ und der Nachfolger. Zu keiner Sekunde verliert er dabei das Publikum, das so gebannt an der Musik und ihm als Künstler klebt, dass es sich – trotz Bitte – nicht so recht zum Mitsingen bewegen kann.
Elf Schulen hat er im Laufe seiner Schullaufbahn besucht, einen Abschluss hat er nicht – und damit auch ein Paradebeispiel dafür, dass eine erfolgreiche Schulkarriere nicht auch zwangsläufig eine intellektuelle Repräsentation bedeutet. Gerade die textliche Qualität, seine Artikulation, aber zugleich erfrischende Unangepasstheit ist es, die ihm schier grenzenlose Sympathiewerte zukommen und die Isarphilharmonie mehr als verständlich ausverkaufen lässt. Er macht das Beste draus, erzeugt eine fesselnde Atmosphäre mit geringsten Mitteln und zieht mit den beiden an Intensität nicht zu übertreffenden Zugaben-Songs „Eine gute Nachricht“ und „Tesafilm“ zum Schluss abermals das Publikum so sehr in den Bann seiner Worte und Klangwelten, dass Standing Ovation zum Konzertende um 22 Uhr nicht lange auf sich warten lassen. Eine gute Nachricht, ein ganz großer Abend.
Setlist: Lauf davon / Nudeln & Klopapier / Topf und Deckel / Ingloria Victoria / Das schreckliche Buch / Meine Freiheit, deine Freiheit (Georg Kreisler cover) / Mein Vater wird gesucht / Ölsardinenindustrie / Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok / Eine aufs Maul / Private Altersvorsorge / Private Altersvorsorge 2 / Mingvase / Trotzdem / Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt – Zugaben: Eine gute Nachricht / Tesafilm
Kritik: Ludwig Stadler