Wenn sich Gebäude aus dem Boden heben, wenn stille Riesen aus Beton und Stahl den Himmel erklimmen, wenn sich Treppen in das Erdreich fressen – dann ist Architektur für manche Kunst, für manche stumme Geschichtsschreibung, für manche eine Lärmbelästigung. Aber Bauten haben auch immer eine Beziehung zu den Menschen, die sie erschaffen, die in ihnen leben und arbeiten oder die sie niederreißen. „Der Bau“ nach einer Erzählung von Franz Kafka, seit dem 7. August 2020 zu sehen im Münchner Volkstheater, beschreibt mit simplizistischem Genie die Beziehung zwischen absurdem Bau und paranoiden Bauherrn.
Das Bühnenbild von Thilo Ulrich steht einsam auf der großen Bühne des Volkstheaters. Eine Konstruktion aus Eisen und Holz, mit Nischen, Rutschen, Leitern und einem Ausguck, die stark an moderne abstrakte Architektur der Superreichen erinnert. Das Tier darin ist stolz und glücklich in seinem unterirdischen Labyrinth aus Gängen und Plätzen, fühlt sich sicher und geborgen, so abgeschirmt von der Außenwelt. Es hat lange geschuftet, um sein Meisterwerk endlich fertigstellen zu können, doch es ist vollbracht. Die drei Darsteller Pola Jane O’Mara, Jan Meeno Jürgens und Steffen Link räkeln sich zunächst in der Zufriedenheit des Tieres, doch schon bald heißt es wieder bauen, besser bauen, höher bauen. Es gibt immer was zu tun. Bis die trügerische Sicherheit plötzlich von einem umidentifizierbaren Geräusch gestört wird und die sichere Burg zum Gefängnis wird.
Regisseurin Mirjam Loibl inszeniert die unvollendete Erzählung von Kafka ton- und bildgewaltig. Im Zusammenspiel mit Videoproduktion, Musik und Beleuchtung, ergibt sich eine Produktion, die auf außergewöhnliche Art und Weise alle Sinne zu beeinflussen scheint. Das Publikum wird in eine Welt gezogen, die mal warm und wohlig, fast schon kuschlig erscheint, wenig später jedoch durch pausenlose Bewegung schnell zu schrumpfen beginnt. Die drei Schauspieler sind dabei wunderbares Sinnbild der animalischen Paranoia, die sich nach und nach beim Tier bemerkbar macht. Der Gedankensprung zu modernen Gated Communities, in welchen sich Menschen immer öfters bewusst von der Außenwelt abschotten, um potenziellen Gefahrenquellen zu entkommen, ist nicht schwer, wenn sich die drei Manifestationen des Tieres in ihre Wahnvorstellungen hineinsteigern. Die selbst gewählte Einsamkeit wird schlussendlich zum eigentlichen Feind, die frenetische Suche nach einem Eindringling wird zum selbstzerstörerischen Vernichtungsdrang.
Pola Jane O’Mara, Jan Meeno Jürgens und Steffen Link brillieren in ihrer Abbildung der langsam schleichenden Paranoia und begeistern in der körperlich anspruchsvollen Produktion mit starker Präsenz und bewundernswerter Ausdauer in ihrer Darstellung des letztendlich isolierten und verwundeten Tieres. Eine starke Debütinszenierung von Mirjam Loibl, die für die Zukunft vielversprechende Maßstäbe setzt und mit beeindruckender Ästhetik jetzt bereits begeistern kann.
Kritik: Anna Matthiesen