Unglaublich, aber wahr: über vier Jahre liegt der letzte Besuch von Deichkind in München bereits zurück. Die deutschen Electro-Pioniere haben sich eine kleine Auszeit gegönnt, um nur umso stärker mit ihrem Album „Wer sagt denn das?“ zurückzukehren. Dieses ist es auch, was sie nun wieder auf Tour durch die größten Hallen der Republik schickt. Und erstaunlich: ihr Tourplan ist eng getaktet, Off-Days gibt es kaum. Überraschend, bedenkt man, was das Kollektiv da für eine riesige Show auf die Bühne bringt. Am 20. Februar 2020 im Zenith besuchen sie nun wieder München. Das Konzert, wie zu erwarten, ist bereits Monate im Voraus ausverkauft.
Dass hier nicht das Standard-Konzert auf den Besucher zugerollt kommt, dürfte jedem Besucher klar sein, der die größtenteils aus Hamburg stammenden Musiker schon einmal gesehen hat – auf Festivals ist deren Show-Aufgebot oft so groß, dass viele davor spielende Gruppen nicht einmal ein Banner aufhängen können. Hier beginnt der Abend mit einem wilden Musik-Mix von VJ Wasted, der nicht nur die Musik der letzten Jahrzehnte abspielt, sondern eben auch noch ihre Musikvideos dazu. Das unterhält ungemein, sodass die Zeit bis zum Beginn um 20:15 Uhr fast verfliegt. Bevor Deichkind tatsächlich mit „Keine Party“ in den langen Abend starten, folgt ein zehnminütiges Video, in dem ein nackter Lars Eidinger kopfüber und in blauer Farbe durch die Menge baumelt oder seine (Körper-)Farbe auf einem weißen Banner auf dem Boden verschmiert. Witzig, aber vielleicht dann doch etwas zu lang – sympathisch aber, dass genau dieses Bild dann die hintere Wand ziert. Romantisch.
Deichkind unterteilen ihren Auftritt in zwei gleich lange Akte von je 70 Minuten – der erste Teil beschäftigt sich dabei größtenteils mit dem neuen Album und ist größtenteils ein Warmmacher für die Fans, die dann im zweiten Teil, dem Best-Of, vollkommen eskalieren. Das macht zwar so durchaus Sinn, hat dabei aber automatisch einige Längen zu Beginn, da leider auch Lückenfüller wie „Quasi“ und „Endlich autonom“ in die schier endlose Liederliste wandern. Bei einer Menge von 30 (!) Liedern allerdings mehr als verkraftbar. Teilweise gibt es keine Pausen, vor allem gegen Ende hin wird massiv Tempo aufgebaut – ganz zur Freude der springenden und feiernden Meute, die bei Liedern wie „Hört ihr die Signale“ und „1000 Jahre später“ sich (zurecht) nicht mehr halten können und überall Moshpits anzetteln. Dass es eigentlich ein Donnerstagabend ist, den die Herren da in München bespielen, juckt die Menge reichlich wenig, wenn das Deichkind am Mic ist. Bon Voyage!
Absolut einzigartig dabei weiterhin: die Show. Zwar gestalten sich die neuesten Einfälle nicht ganz so kreativ und können maximal beim Titeltrack „Wer sagt denn das?“ so voll glänzen, auch wirkt alles im Gegensatz zur 2016er-Produktion ordentlich reduziert, dennoch ist so ein gesamtheitliches Showkonzept in dieser Länge und Dichte weiterhin in Deutschland einmalig und vollkommen begeisternd. Besonders ihre sich herumfahrenden Säulen und die leuchtenden Dreiecksköpfe sind längst zu Erkennungsmerkmalen geworden und lassen schon von Weitem erkennen, wer da musiziert, selbst wenn die Musiker gar nicht zu erkennen sind. Daher war der Ausstieg von Ferris MC vor zwei Jahren überraschend, aber im Kollektiv-Gedanken verkraftbar. Nun hat der Münchner Rapper Roger Rekless den Posten übernommen – und begeistert mit seiner Tightness und Bühnenpräsenz auf ganzer Linie. Einen besseren Ersatz hätten Deichkind wohl nicht finden können. Und so bleibt trotz der kleinen Längen und Abstrichen in der Show ein langer, starker und amüsanter Abend. Wer macht denn heute noch so ’ne Musik?
Akt 1: Keine Party / Richtig gutes Zeug / So ne Musik / Dinge / Quasi / Knallbonbon / Endlich autonom / Party 2 / Cliffhänger / Die Welt ist fertig / Wer sagt denn das? / Voodoo / Ich bin ein Geist / Gewinne Gewinne / Illegale Fans
Akt 2: Bück dich hoch / Leider geil (Leider geil) / Komm schon! / Bon Voyage / Alles außer Sunshine / Oma gib Handtasche / Arbeit nervt / Bude voll People / Roll das Fass rein / Niveau Weshalb Warum / Hört ihr die Signale / 1000 Jahre Bier / Sonate in F-Doll / Limit
Zugabe: Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)
Bericht: Ludwig Stadler