Die Arbeitswelt in Amerika und am Beispiel des Stückes explizit in New York unterscheidet sich selbstredend massiv von unserer – und doch ist die Mentalität eine ähnliche. „Schneller, höher, weiter“, sich durchgehend steigern und niemals ankommen, weil eine Stufe weiter durchaus in kurzer Zeit erreichbar sein muss. Diesem Thema hat sich „Gloria“, das Theaterstück von Branden Jakobs-Jenkins, verschrieben, welches sogar für den Pulitzer-Preis nominiert wurde. „Gloria“ ist hierbei nicht, wie anfangs anzunehmen, als das unaufhörliche Streben nach Erfolg interpretierbar, sondern als Name der insgeheimen Hauptperson, die das Leben der Protagonisten grundlegend verfolgt und verändert.
Die ausverkaufte Premiere am 20. Oktober im Residenztheater sprach stark für das Interesse des Werkes, zudem an diesem Tage die deutschsprachige Erstaufführung stattfand. Wieso das Stück bisher nicht den Weg nach Deutschland geschafft hat, ist fraglich, ist es doch sowohl modern als auch nachvollziehbar. Bis zum Moment des Eskalierens, dem Moment des Amoklaufs von Gloria, weiß keiner so genau, wer denn jetzt der ist, der zum Schluss eskalieren wird. Zwar rechnet man schon mit der äußerst eigenartigen Gloria, genauso gut hätte aber Choleriker Dean, der Assistent der Kultur-Chefin Nan, eskalieren und jeden Einzelnen exekutieren können. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Spiel, das in letzter Minute das Ruder nicht umreißt, nicht verändert, sondern nur eine starke Welle bietet. Die Ambitionen ändern sich nicht.
Das Ensemble um Gunther Eckes in der heimlichen Hauptrolle des Dean, der mit Abstand die meiste Stagetime haben dürfte, weiß sehr wohl, die Rollen, soweit möglich, passend zu präsentieren. Oft schlichtweg zu plakativ und ohne großartige Tiefe geschrieben, gehen viele Personen, die gezeigt werden, unter oder sind nur für den schnellen Lacher gut – nicht aber werden sie in das dementsprechend ernste Thema eingeführt, durchgehend bleiben sie starr. Bis zum Ende findet sich kein guter Konsens mit den Darstellern, die große Tragödie bleibt blass, es bleibt konstant. Christian Erdt in der Rolle des Praktikanten Miles weiß allerdings dabei sowohl zum Lachen zu bringen als auch in den richtigen Momenten mit dem passenden Timing zu begeistern.
Die großen Schwächen des Stückes liegen nicht an den Darstellern oder der zwar etwas brav-langweiligen, aber konsequenten Inszenierung, die Schwächen liegen vor allem an einem: am Stück selbst. Trotz einer Protagonisten, Kendra, die unangenehm plakativ und ehrlich den Erfolgszwang in das Stück presst, und einem guten chronologischen Blick über das Ereignis, schleppt das Theaterstück viel zu massiv über die knapp 120-minütige Länge. Kein Knall, kein Aufschrei zum Schluss – der Moment des großen Amoklaufes gibt es bereits etwas nach der Hälfte der Laufzeit. Danach versucht Jacobs-Jenkins, etwas hilflos, die Folgen des Moments darzulegen, ohne stark auf die Personen vorab zu achten. Zwar stellt er fast alle als geldgeile Ausschlachter dar, die ihr Schicksal, welches sie als Drama aufschreiben, als Besteller verkaufen, egal, ob sie den Moment des Amoklaufes erlebten oder nicht, und schlussendlich sogar die Fernsehrechte verkaufen. Das klingt alles nach einem cleveren Trick, doch letztendlich schlürft die zweite Hälfte wortwörtlich zu ihrem Ende hin, es gibt kaum Höhepunkte und die Handlung scheint arg zu stagnieren.
Dabei gibt es durchaus tolle Momente. Als der Tod einer Pop-Sängerin bekannt wird, tanzen die Assistentinnen Kendra und Ani zu der unbeschreiblichen primitiven und fast schon einfältigen Musik. Der Kommentar: „Sie hat mir aus einer schweren Depression geholfen“ wird dabei zwangsläufig auf die letzten Todesfällen unserer Zeit angewandt und das damit einhergehende, gespielte Lied. Fakt ist, dass die Musik niemals irgendjemanden aus der Depression half, mit dem Liedtext auf „Umbrella“-Niveau von Rihanna.
Keine Frage: Sowohl die viel zu brave Inszenierung von Amélie Niermeyer als auch das Stück selbst haben einige Schwächen, aber eine tolle Grundgeschichte und Grundidee, welche vor allem in der ersten Stunde ausgekostet wird. „Gloria“ schöpft nicht annähernd das Potential aus, das eine Idee dieser Größenordnung haben musste.
Wer einen überraschenden Theaterabend mit leichtem Witz und guter Dramatik sucht, ist hier gut aufgehoben. Wer auf die Gesamtlaufzeit Wert legt, dem sei herzlich empfohlen, einfach nach dem Amoklauf das Bühnenwerk als beendet zu sehen. Die nachfolgenden Wirkungen sind gut gemeint, weisen aber vor allem eines auf: Trägheit und sprachlich zu wenig ausgefeilte Dialoge.
Bericht: Ludwig Stadler
Schreibe einen Kommentar