Als wir am Abend des 27. Januar das Technikum betreten, fühlen wir uns wie in einer Schulaula. Das liegt größtenteils an dem äußerst jungen Publikum. Schnell wird klar: Der 20-jährige Dominic Harrison, wie YUNGBLUD mit bürgerlichem Namen heißt, spricht mit seiner Musik bislang vor allem seine eigene Generation an. Obwohl der Künstler erst seit 2017 Musik veröffentlicht, ist es bereits das dritte Mal, dass der junge Brite im Raum München auftritt. Anfang 2018 überzeugte der Musiker aus Doncaster beim Muffat Winterfest, dann nur einige Monate später beim Puls Open Air mit seinen energiegeladenen Auftritten. An diesem kalten Sonntagabend ist er nun im Rahmen seiner Tour für sein Debütalbum 21st Century Liability das erste Mal mit einer eigenen Show in der bayerischen Hauptstadt. Die Nachfrage nach den Tickets war so groß, dass das Konzert schon nach kurzer Zeit vom Ampere ins Technikum hochverlegt werden musste.
Bereits um 19:30 Uhr ist die kleine Konzerthalle komplett gefüllt, sodass Voract Carlie Hanson pünktlich um 20 Uhr mit ihrer Show beginnen kann. In den USA ist die 18-jährige längst keine Unbekannte mehr. Auf Spotify hat die Sängerin aus Wisconsin vor kurzem die 50 Millionen Streams geknackt. Mit ihrer Musik begeistert sie unter anderem Künstler wie Taylor Swift, die Hansons Song „Only One“ in ihre persönliche Empfehlungsplaylist aufnahm und ihn damit bekannt machte. Auch das Publikum ist schnell überzeugt von der Pop-Sängerin, die wie ein Flummi in Sport-BH und Jeans von einer zur anderen Seite hüpft. Sie fühlt sich wohl auf der Bühne und das merkt man. Begleitet von einem Schlagzeuger und einem Gitarristen/Keyboarder, liefert die Musikerin eine wirklich solide Performance ab, die das Publikum gut auf den Hauptact vorbereitet. Nach 30 Minuten beendet Carlie Hanson ihren Auftritt und verlässt unter großem Beifall und Gekreische die Bühne.
Setlist: Why Did You Lie? / Toxins / Hazel / Only One / Smoke & Skate / Numb / Us
Dann heißt es erst einmal warten. Das tut der guten Stimmung der Fans allerdings keinen Abbruch. Als in der Pause „Should I Stay Or Should I Go“ von The Clash gespielt wird, singt das gesamte Publikum kurzerhand mit. Nach vierzig Minuten stürmt Yungblud schließlich auf die Bühne. Ab dieser Sekunde pulsiert die ganze Halle. Die Energie des 20-jährigen ist förmlich greifbar. Mit „21st Century Liability“, dem letzten Song seines gleichnamigen Albums, startet der Musiker seinen explosiven Auftritt. Das Set des Abends ist eine bunte Mischung aus allen bislang produzierten Songs. Genregrenzen kümmern den Künstler dabei wenig. Ob Alternative Rock, Hip Hop, Pop, Punk oder UK Garage – Yungblud nimmt all das und verwandelt es in seinen eigenen Sound. Unterstützt wird er dabei von einem Gitarristen und einem Schlagzeuger, die ganze Arbeit leisten, um das extrovertierte Auftreten des Musikers zu unterstützen. Yungblud selbst singt, spielt Gitarre und schwingt das Tamburin. Während des gesamten Auftritts stellt man sich als Zuschauer unweigerlich die Frage, woher der Musiker seine Energie nimmt. Es gibt kaum einen Moment, in dem der Künstler zur Ruhe kommt. Er hüpft auf und ab, spuckt Wasser in die Menge und schwingt energisch eine Regenbogen-Flagge. Man spürt die Freude und Dankbarkeit, mit der der Musiker auf der Bühne steht und diese gibt er in Form von Energie an seine Fans weiter. „We are a family!“, ruft Yungblud seinem Publikum zu. Jede Äußerung oder Bewegung des Musikers wird mit einem Kreischanfall des vorwiegend weiblichen Publikums kommentiert. Das stachelt den Künstler noch weiter an und er wird nicht müde seinen Fans seine ausgestreckte Zunge zu zeigen, die man zusammen mit den wirren Haaren fast schon als sein Markenzeichen bezeichnen kann. So oft es geht, bezieht der Musiker sein Publikum in den Auftritt mit ein. Und die danken es ihm mit absoluter Textsicherheit. Selbst die Lyrics zum eben erst erschienene Song „Loner“ sind bereits in den Köpfen der Fans verankert. Auch an wildem Getanze und Moshpits mangelt es an diesem Abend nicht.
Doch bei Yungblud lohnt es sich auf mehr als nur den energiegeladenen Auftritt zu achten. Wer sich mit den Lyrics beschäftigt, dem wird schnell klar, dass der junge Brite so einiges zu sagen hat. Politische und gesellschaftskritische Texte machen ihn zum Sprachrohr seiner Generation. In seinen Liedern geht es unter anderem um Themen wie Gentrifizierung, Ausgrenzung, die Waffenlobby der USA oder, wie im Song „Polygraph Eyes“, um die Belästigung und Vergewaltigung von Frauen. Yungblud scheut sich nicht davor, unangenehme Themen zur Sprache zu bringen und möchte mit seiner Musik auf Missstände aufmerksam machen. Zusammen mit seinem extrovertierten Auftreten bildet das eine Mischung, die im Gedächtnis bleibt und von der man für die Zukunft noch viel erwarten kann.
Nach 75 Minuten ist der junge Musiker am Ende seines beeindruckenden Auftritts angelangt und zerlegt zum Abschluss seine E-Gitarre in all ihre Einzelteile, bevor er sich von seinem Publikum verabschiedet. Was bleibt, sind die erhitzten und glücklichen Gesichter der Fans, die es sicherlich schon jetzt kaum erwarten können, Yungblud bald wieder zu sehen.
Setlist: 21st Century Liability / I Love You, Will You Marry Me / King Charles / Psychotic Kids / Anarchist / Polygraph Eyes / Ice Cream Man / Medication / Loner / Kill Somebody /California / Tin Pan Boy – Zugaben: Die for the Hype / Doctor Doctor / Machine Gun (F**k the NRA)
Bericht: Franziska Lange