Sie sind wieder in der Stadt: Eine der berüchtigtsten und facettenreichsten Gitarrenkapellen der Welt, die im Spannungsfeld zwischen Kunst, Meme, Nerdtum und spiritueller Grenzerfahrung operieren: Mit deren markantem Namen man nicht nur eine bestimmte Musik, sondern eine ganze Marke verbindet: Sunn O))). Der zweite Teil des Namens wird nicht ausgesprochen, man könnte sagen: Symbolisiert den (erheblichen) Teil dieser Tonkunst, der nicht eigentlich gehört, sondern gefühlt wird, als mächtige Vibration im ganzen Leib.
Es ist Montag, der 7. Oktober, und was das Publikum, das gemächlich das Backstage Werk zu füllen beginnt, erwartet, ist der mächtige Anblick einer mit Amps völlig vermauerten Bühne. Wie der Krater eines gar nicht toten Vulkans wirkt das, und treibt den Anwesenden die Ohrstöpsel in die Lauscher. Zum Tanz auf dem Vulkan bittet aber zunächst Caspar Brötzmann, dessen zu Unrecht in Vergessenheit geratener Noise Rock-Band Caspar Brötzmann Massaker Sunn O))s Stephen O’Malley und Greg Anderson mit ihrem Southern Lord-Label zu neuem Leben verholfen haben. Hier aber ist Brötzmann alleine zugegen, ähnlich seinem Vater, dem berühmten Free Jazz-Virtuosen Peter Brötzmann, nur mit E-Bass, anstatt Saxophon. Brötzmann betreibt ausgiebigstes Petting mit seinem Instrument, dessen massive Verstärkung es ermöglicht, dass auch die leichteste Berührung sich in Feedback-reichem Krach niederschlägt.
Allerdings kommt Brötzmanns ewiges Solieren nicht wirklich zum Punkt, seine Hendrix-haften, expressiven Improvisationen sind zwar beachtlich, passt aber nicht zum Klangvolumen, die brummende Körperlichkeit des Sounds verträgt sich nicht gut mit hektischen Läufen.
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Nach einer halben Stunde Umbauzeit, beständig von einem monotonen fernöstlichen Klingeln unterlegt, läuten Sunn O))) ihr Set – natürlich – mit massiven Einnebelungsmaßnahmen ein; es gelingt ihnen erstaunlicherweise, das geräumige Backstage Werk nachhaltig in weißen Dunst zu hüllen: Weißer Dunst, aus dem sich plötzlich ein urgewaltiges Feedback-Jaulen schält, gefolgt den charakteristischen dröhnenden Slow Motion-Tiefton-Wellen. Sunn O))) brauchen kein Schlagzeug, keinen Sänger; dafür sind sie heute mit zwei Keyboards (die aber keineswegs mit einem ‚typischen‘ Keyboardsound in Erscheinung treten), und eine Posaune neben den drei im Vordergrund agierenden (Bass-)Gitarren im Einsatz.
Doch von der Band selbst ist ohnehin gut die Hälfte des Konzerts nichts zu sehen. So laut ist dieses Konzert, dass der Musik beinahe richtungslos wird, die dröhnenden Riffs, die streng genommen gar nicht als solche in Erscheinung treten, sondern mehr ein Tosen wechselnder Intensität und Modulation sind, spielen sich scheinbar ausschließlich im Körperinneren ab, kollidieren als physisches Stereo im Solarplexus und zwischen den Gehirnhälften. Es erübrigt sich hier vollends, auf Songstrukturen oder wiedererkennbare Patterns Acht zu geben, das Konzert bietet sich dar mit der Unnahbarkeit eines Naturschauspiels, das streng genommen über den ersten Wow-Effekt hinaus nichts nennenswert Neues bietet, in dessen Angesicht aber eine besondere Art von Selbsterfahrung entstehen kann. Wenn nur Berggipfel, Wasserfälle oder Sonnenuntergänge mit einer ähnlichen Andacht genossen würden, wie das Publikum im Backstage sich Sunn O))) widmet…
Ein Höhepunkt des Konzerts ist erreicht, als sich der Nebel so weit gesetzt hat, dass die Band gut erkennbar ist, die Gitarren sich zurückziehen, und Steve Moore zu einem wunderbaren, gravitätischen Posaunensolo ansetzt, in helles gelbes Licht getaucht, und zwar melodiös, aber dennoch im Einklang mit dem unweltlichen Gebrumm des Hauptteils des Konzerts: Der Morgen nach dem Weltuntergang, die Kontinentalplatten reiben gemütlich ihre Rücken aneinander.
Dass eine Band wie diese noch ganz konventionell eine Zugabe gibt, nachdem sich ihre Kutten tragenden Mitglieder herzlich verabschiedet haben, scheinen nicht viele der Anwesenden erwartet zu haben. Doch: Es gibt sie, ehe es um 23 Uhr schließlich Sunn Out heißt und man aus dem Kunst- hinaus in den echten Nebel treten darf, wo der grässliche neue Büroturm vor dem Backstage dunkel in die Wolken ragt wie auf einem Gemälde von Zdzisław Beksiński.
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Bericht: Tobias Jehle