„Lassen Sie mich den Titel der Show so erklären„, setzt Werner Buss an, künstlerischer Leiter der gesamten GOP Varieté-Familie in Deutschland, in der Presseeinführung vor der Premiere der neuen Show „SLOW„ an diesem Sonntag, 10. November 2019, „einmal habe ich nämlich das Bild eines Künstlers gesehen – es war ein Fuß darauf abgebildet. Dann allerdings die Überraschung: Unter dem Werk stand der Titel, der da lautete ‚die Hand‘. In diesem Sinne handelt es sich bei ‚SLOW‘ um eine besonders schnelle Show, eine, die sich mit dem Thema Geschwindigkeit auseinandersetzt. Wir wollen etwas präsentieren, das Hand und Fuß hat.“
Nach dem vorzüglichen Premierenmenü erscheint Buss schließlich gegen 18:40 Uhr auf der Bühne, um die Gesamtheit der Gäste willkommen zu heißen. Kurz darauf beginnt die wilde Fahrt. Alle Artisten hüpfen zu lebhafter Musik auf die Bühne und tanzen. Nur eine hat am Bühnenrand Platz nehmen müssen: Ingrid Korpitsch, später an den Luftringen zu sehen, spielt Klavier und singt dazu erstaunliche Eigenkompositionen. Und das in einer Qualität, dass sie sich selbst ohne die Ring-Nummer bereits ihren Platz in der Show verdient gehabt hätte. Alle Künstler verlassen schließlich die Bühne, bis auf die Gebrüder Togni (fabelhaft gekleidet im Arbeiterdress mit Hosenträgern und Sozialistenkappe) und präsentieren zu musettenhaftem Soundtrack Körperakrobatik, so genannte ikarische Spiele, bei denen ein Partner den anderen antipodisch balanciert.
Danach betritt erstmals an diesem Abend der Star die Bühne. Claude Criblez ist der einzige Konterpart zur Hochgeschwindigkeitsshow, einziger Ruhepunkt, um den sich der Abend wieder und wieder zentriert. Neben seiner moderatorischen Funktion begeistert der gelassene Bilderbuch-Schweizer jedoch vor allem mit der vermutlichen Hauptattraktion des Abends das Publikum. Um was es sich genau handelt, sei an dieser Stelle jedoch noch nicht verraten. Diesen künstlerisch fundierten und uns sinnig erscheinenden Wunsch von Direktor Werner Buss möchte die KiM-Redaktion an dieser Stelle respektieren. Ein Zitat von Claude Criblez aus seiner Einlage soll dennoch hier Erwähnung finden und vielleicht umso mehr Appetit auf diese schmackhafteste aller Einlagen machen: „Wenn die ganzen Artisten dieses Abends Fische wären, dann könnten sie alle zum GOP Theater in München schwimmen.“
Bevor um 19:30 Uhr zur Pause geläutet wird, sieht das Publikum noch die Australierin Hazel Bock bei der Jonglage mit leuchtenden Ringen, Daria Shcherbyna mit einer glänzenden Hula Hoop Einlage und schließlich den jungen und überaus konzentrierten Jonas Witt in seinem Cyr Wheel, einer Art großem Reifen oder halbem Rhönrad, das in teils atemberaubenden Pirouetten über die Bühne steuert. Nach 20 Minuten geht es nun mit der versprochenen Luftring-Nummer von Korpitsch weiter, die durch fetztige Rockmusik unterlegt ist. Der junge Japaner Akira Fukagawa zeigt derart großes Können und Geschick mit seinen bunt leuchtenden Diablos, dass man ihm sofort verzeiht, dass ihm eines der sanduhrförmigen Objekte bei seiner Nummer entgleitet und nicht auf der Schnur, sondern dem Bühnengrund landet. Tori Boggs, Weltmeisterin im Seilspringen, hat sich mit den beiden Burschen Garett und Jesse gemeinsam zu „Tricked Out“ formiert, was ihnen das Publikum wohl besonders dankt. Im Dreiergespann kommt die Seilspringnummer mit leichter Hip-Hop-Ästhetik nämlich deutlich spannender und kurzweiliger daher, als es ein Einzelauftritt vermocht hätte. Hazel Bock begeistert nun abermals mit einer Einlage, in der sie einen erschreckend hohen Stapel an Koffern auf den Füßen balanciert, die ihr für diese Antipodennummer von der Seite zugeworfen werden. Zwischen den Einlagen natürlich immer: Claude.
Die letzte Nummer und vermutlich langsamste akrobatische Nummer des Abends ist nichtsdestotrotz eine beeindruckende und sinnliche: Michael Togni, bereits zu Beginn auf der Bühne gewesen mit seinem Bruder, vollführt nun mit Yulia Girda einen kraftvollen akrobatischen Tanzakt zu balladiger Musik. Zum Abschluss singt abermals Korpitsch, schnell und gut gelaunt sammeln sich alle Akrobaten auf der Bühne, tanzen, führen sogar kleine Nummern im Zuge dieses Abschlusses vor. Der Applaus ist schallend. Werner Buss lässt es sich nicht nehmen, alle Künstlerinnen und Künstler einzeln vorzustellen. Zurecht, wie wir finden. Denn das Resumee ist ein Varieté-Abend voll guter Laune und sehenswerter Kunststücke, dem es sich eindeutig einen Besuch abzustatten lohnt. Und wer noch nicht überzeugt ist, der möge nur vorbeikommen, um herauszufinden, wieso das ganze Publikum Claude Criblez bereits nach seiner ersten Minute auf der Bühne tief ins Herz geschlossen hat.
Kritik: Thomas Steinbrunner