Mittwoch, der 5. September. Im Circus Krone Bau spielen Sigur Rós. Der Anziehungskraft ihrer so intimen wie überlebensgroßen Stücke sind viele erlegen und haben die Isländer auf ihrem Weg von den unbegreiflichen, außerirdisch herzergreifenden Stücken auf »Ágætis byrjun« (1999) hin zu den klarer umrissenen, nachdrücklicher vorgebrachten auf »Takk…« oder »Kveikur« begleitet.
Zum ersten Mal seit geraumer Zeit ist die Gruppe wieder auf Europa-Tour. Ursprünglich war das Zenith als Veranstaltungsort angesetzt, die Verschiebung in den Circus Krone stellt eine willkommene Planänderung dar: Nicht nur dürften Klang und Sicht für alle Anwesenden hier besser sein, es herrscht auch frei Sitz- und Stehplatzwahl. Zwar ist der Zuschauerraum gut gefüllt, als Sigur Rós um kurz nach 20 Uhr die Bühne betreten, doch angesichts des Kultstatus‘ der Band und der langen Zeit, seit sie zuletzt in München auftrat, fällt der Andrang erstaunlich dünn aus. Dies fördert andererseits noch die familiäre, entspannte Atmosphäre des Konzerts; es ist mehr ein Sich-Lagern um die Bühne herum, als das leidlich bekannte Stoßen und Drängen hin zur besten Sicht.
Anlass der Tour ist das 20-jährige Jubiläum des Albums »()«. Dementsprechend prominent sind Stücke dieses noch der Frühphase der Band zuzurechnenden Werks auf der Setlist vertreten. Mit »Untitled #1–3« wärmen sich Jonsí (Gitarre, Gesang) und seine Kollegen auf. Die Band ist hervorragend abgemischt. Es kommen kaum eingespielte Klänge zum Einsatz, die Songs gewinnen in einem im Vergleich zu den Alben etwas schmaler geschnittenen Gewand noch einmal an Intensität und Lebendigkeit. Einen Höhepunkt des Abends bildet die Trias aus »Svefn-g-englar«, »Rafmagnið búið« und »Ný batterí«. Alle drei Stücke sind im Zuge von »Ágætis byrjun« entstanden, zweiteres verblieb B-Seite. Hier zeigt sich die Band zwischenzeitlich von ihrer lauteren, experimentellen Seite, Jonsí, tief gebeugt über seine Gitarre, traktiert die Saiten mit dem Geigen- oder Cellobogen, ehe »Ný batterí« mit unirdischer Schönheit und Traurigkeit die Nackenhaare zum Aufstehen bringt.
Auch einen neuen, noch nicht veröffentlichten Song gibt die Band zum besten; dieser ist unter dem (vorläufigen) Titel »Gold 2« bekannt. Es handelt sich um ein langsames, dräuend-träumendes Stück ohne Drums, aber mit zwei Blechblasinstrumenten. Sollte dieses Stück repräsentativ für das kommende Album sein, dann scheinen sich Sigur Roś wieder mehr an den unkonventionellen, vielschichtigeren Stücken ihrer Anfangstage als an den eher kompakt organisierten der letzten Alben zu orientieren. Und der Vergleich der beiden Sets, die die Band an diesem Abend spielt, beweist, dass dies eine positive Entwicklung wäre. Sigur Rós teilen ihren Auftritt in zwei Hälften, wovon die erste v. a. Stücke von »()« und »Ágætis byrjun«, sowie das neue Stück enthält. Hier ist es, wo die Band glänzt und überzeugt. In der erwähnten schlichten Instrumentierung kann sich die Magie der Musik der Isländer ungebrochen entfalten. Einen weiteren Höhepunkt stellt das als letztes Stück vor der Pause gegebene »Untitled #9 – Smáskifa« dar, eine B-Seite von »()«, die in die Jubiläumswiederveröffentlichung mit aufgenommen wurde.
Während der zweiten Konzerthälfte spielt die Band v. a. Stücke vom Album »Takk…«, sowie einzelne von »Kveikur« und »Með suð í eyrum við spilum endalaust«. Diese stringenteren, mit mehr Nachdruck in Szene gesetzten Songs sind zwar beeindruckend und auch sicherlich wert, live erlebt zu werden. Der hölzerne Boden des Circus Krone erzittert unter den mächtigen Bassangriffen, wenn die Band Crescendi von enormer Größe anstimmt, um diese dann wieder in leise, unschuldige Melodien verebben zu lassen. Doch dessen ungeachtet entsteht wiederholt der Eindruck, als würden die Isländer diejenige Atmosphäre und Stimmung, die ihre früheren (und vielleicht kommenden) Werke auf so natürliche Weise hervorzurufen wussten, hier versuchen, mit Gewalt herzustellen, was mitunter auch gelingt, jedoch ohne die Dreidimensionalität, die man in der ersten Konzerthälfte genießen durfte.
Die Band nutzt die dreisäulige Projektionsfläche in ihrem Rücken, um simple, repetitive Videoclips zu zeigen, die zumeist der Musik nicht im Wege stehen und bisweilen auch eine bereichernde Ergänzung darstellen. Von verbaler Kommunikation mit dem Publikum wird abgesehen, doch nachdem sie ihr Set mit »Untitled #8 – Popplagið« beschlossen haben, kommen Jonsí, Georg Hólm (Drums) und der nach mehrjähriger Abwesenheit wieder zur Band gestoßene Keyboarder Kjartan Sveinsson noch einmal auf die Bühne und bedanken sich winkend und rufend für den ihnen gespendeten nachdrücklichen und anhaltenden Applaus.
Setlist: Untitled #1 – Vaka / Untitled #2 – Fyrsta / Untitled #3 – Samskeyti / Svefn-g-englar / Rafmagnið búið / Ný batterí / Gold 2 / Untitled #7 – Dauðalagið / Untitled #9 – Smáskifa / Glósóli / Untitled #6 – E-Bow / Sæglópur / Gong / Andvari / Festival / Kveikur / Untitled #8 – Popplagið