Wenn man sich um 19:40 Uhr, 20 Minuten vor Einlass, in die Schlange vor dem Strom in München anstellt, wartet man bereits hinter der Unterführung – ein Rekord für den kleinen Kult-Club, der über die Jahrzehnte schon etliche Identitäten annahm und nun doch bereits einige Jahre Anlaufort für allerlei Indie- und Rock-Bands ist. Grund für den Ansturm ist eine Band, die dann doch schon weit über Strom-Größe hinaus ist: Revolverheld. Exakt diese Tatsache hat sie aber wohl genau in diese Location in der Lindwurmstraße geführt. Pünktlich zum Release des neuen Albums „Zimmer mit Blick“, was einen respektablen zweiten Platz in den Charts erreichen konnte, haben sich die Nordmänner entschieden, eine kleine Club-Tour durch Deutschland zu spielen und, ganz im Sinne ihrer aktuellen Single „Immer noch fühlen“, wieder ein wenig zu ihren Ursprüngen zurückzukehren.
Das ist um kurz nach 21 Uhr dann auch der allererste Song, der überraschend glasklar durch die Boxen tönt. Fast schon eine Erlösung, denn fraglos dürfte das wirklich winzige Strom als „Münchner Sauna No. 1“ durchgehen, wenn es ausverkauft ist – bereits vor Konzertbeginn trieft es gefühlt von der Decke. Dabei sind es zum Tour-Auftakt maximal 300 Menschen, mehr passen überhaupt nicht in das ehemalige „Crash“, wenngleich das tatsächlich die Hälfte, teilweise sogar nur ein Drittel dessen ist, was bei den Folgekonzerten an Menschen da sein werden. Vielleicht aber auch genau deswegen eine gute Möglichkeit, für die Musiker ihr erstes Konzert nach rund 17 (!) Monaten im richtigen Rahmen zu geben und etliche Lieder ihres neuen Albums Live-Premiere feiern zu lassen. Das Publikum klingt fraglos durchgehend so, als könnten Tausende dort stehen – kein Wunder, denn wer zu den glücklichen Kartenbesitzern gehört, lässt all diese Freude lautstark raus, sehr zur Freude der Band.
Diese selbst wirkt so frisch und motiviert wie lange nicht mehr. Mit vollem Enthusiasmus und ausgiebiger Freude spielen sich die vier Mannen durch ihr umfangreiches Set, das zwar für eine kleine Tour bedauerlich wenige Ausflüge in die Anfangstage beinhaltet, aber sich dafür umso intensiver mit den besten Werken des neuen Albums beschäftigt. Richtig vermissen könnte man an diesem Abend nur „Keine Liebeslieder“, dieses Bombast von Trennungslied, welches schon Alphaville-Frontmann Marian Gold zurecht als Lied mit großer Aussagekraft und Wucht beschrieben hat. Als Fan aller Alben dürfte man aber fraglos sehr glücklich werden, der Klang aus den Boxen ist fein und überraschend klar abgemischt, die verschiedenen Effekte funktionieren und die Frontstimme von Johannes Strate ist tonsicher und kräftig. Manchmal, könnte man denken, klingt es fast ein wenig zu sehr nach der CD – was gewissermaßen nur ein weiteres Mal die musikalischen Live-Qualitäten von Revolverheld bestätigt.
Was die Band von ihren aalglatten Genre-Kollegen aber glücklicherweise abgrenzt: die persönliche Sympathie und die ehrlichen, spontanen und subjektiven Ansagen, die gut und gerne auch einmal fünf Minuten dauern. Da gibt es nach den ersten alkoholischen Getränken auf der Bühne eine Anekdote zu der Band von Chris De Burgh, die vom Künstler alle halbe Stunde wieder ins Backstage mussten und kurzerhand mehrfach zu Abend gegessen haben, was in einer Klage der Ehefrauen ob der Gewichtszunahme mündete. Oder auch einfach eine Geschichte vom Feiern-Gehen nach dem letztjährigen Aerosmith-Konzert am Königsplatz, bei dem es die Musiker auf Empfehlung ins „Blitz“ gezogen hat – „hipper Hipster-Schuppen“, wie Strate ihn betitelt, nicht mehr das richtige für Ü35 wie ihn. Dort haben ihn dann wesentlich jüngere Besucher auf Bairisch angesprochen, dass sie ihn gerne „pudern“ würden.
All diese ulkigen, kleinen Geschichten, die erfrischend spontan kommen, machen die Band ungemein locker und nahbar. Kurzzeitig erzählt Strate auch ohne Mikrofon in völliger Stille des Saales. „Sind wir schon in der Größenordnung?“, fragt er lächelnd. Nach einer Minute brüllt jemand „lauter“ – na immerhin fast.
Überraschender Moment: die kurze Reflexion der Stadion-Konzerte. Natürlich wären diese auch toll, meint Strate, aber diese riesigen „Mehrzweckhallen“ unterscheiden sich nicht. „Kein Wunder, dass Katy Perry depressiv wird und nicht mehr weiß, in welcher Stadt sie ist“. Man könne das Publikum auch gar nicht mehr erkennen, alles verläuft absolut anonym. Genau das ist in dieser Club-Tour nicht der Fall. Beim vorletzten und spontan noch der Setlist hinzugefügten Song „Darf ich bitten?“ besucht der Frontmann kurzerhand das Publikum, springt gemeinsam mit ihnen zum doch mitreißenden Song und holt sich an der Bar noch einen Weißwein. Als er darauf wartet, macht er einige Selfies mit Fans – immerhin ist er als Juror bei „The Voice Kids“ und weiteren TV-Formaten zu sehen und damit medial ohne Frage die bekannteste Person der Band.
Revolverheld haben auch bei „Sing meinen Song – das Tauschkonzert“ gespielt, waren regelmäßige Besucher des inzwischen abgesetzten Echos gewesen und spielen allgemein seit Anbeginn ihrer Karriere im deutschsprachigen Mainstream-Bereich mit, was 2005 wohl am Über-Hit „Freunde bleiben“ lag. Im Laufe der Zeit und Jahre haben sie ihren verhältnismäßig punkigen Sound der ersten Alben immer mehr in die poppige Richtung entwickelt – dieser Weg mag dem steigenden Alter, der Anpassung oder auch einfach dem aktuellen Gefühl geschuldet sein, es klingt an diesem Abend aber einfach verdammt richtig. Wer tausendfach die Anti-Pop-Musik-Zeilen aus „Generation Rock“ zitiert, der ist sich seinen Aussagen von vor 13 Jahren wohl auch kaum mehr bewusst, denn so gut die alten Rock-Alben sind, leben die neuen Songs weiterhin von cleveren Arrangements und ungeahnt textlichen Stärken. Beispielhaft steht das mächtige „Zimmer mit Blick“, was den schweißtreibenden Abend nach etwas über zwei Stunden Spielzeit mit einer wichtigen Botschaft und verhältnismäßig politisch beendet: Veränderung und Widerstand kann nur von einem selbst kommen. Das schließt gute Laune und ein gelungenes Konzert natürlich nicht aus, aber ein wenig Bewusstsein sollte jeder mit nach Hause tragen. „Wir haben das alles zwar gewusst, doch unternommen haben wir nichts“ – diese Zeilen schwingen auch auf dem Nachhauseweg noch mit. Ziel erreicht, Revolverheld.
Setlist: Immer noch fühlen / Sieben Seelen / Spinner / Das Herz schlägt bis zum Hals / Immer in Bewegung / Unsichtbar / Das kann uns keiner nehmen / Liebe auf Distanz / Freunde bleiben / So wie jetzt / Halt dich an mir fest / Ich werd‘ die Welt verändern (neue Version) / Ich kann nicht aufhören unser Leben zu lieben / Ich werde nie erwachsen / Ich lass für dich das Licht an – Zugaben: Lass uns gehen / Darf ich bitten? / Zimmer mit Blick
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Revolverheld kommen zurück nach München – am 24. März 2019 in die Olympiahalle!
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Bericht: Ludwig Stadler
Fotos: Thomas Steinbrunner
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