Was man sich genau beim Musical „Priscilla – Königin der Wüste“ erwarten durfte, war bis zum Start immer noch nicht ganz klar. In Australien ist das Stück bereits ein riesiger Erfolg, was letztendlich am gleichnamigen Film liegen mag – auch hat das Musical bereits London und New York erobert. Höchste Zeit also, dass es nach Deutschland kommt; das Gärtnerplatztheater hat sich wohl genau das gedacht, denn am 14. Dezember 2017 feierte „Priscilla“ dort deutschsprachige Erstaufführung. Wir waren für euch in der Vorstellung am 6. Januar!
Gleich zu Beginn: eine Bühne auf der Bühne, das Szenario des „Cockatoo Clubs“ in Sydney – ein Club mit einer großen Travestie-Show. Dementsprechend groß der Jubel vom bestens gelaunten Publikum, als plötzlich das Ensemble von oben in Lack und Leder auf die Bühne herabgelassen wurde. Schnell sollte sich doch aber der Plot abbilden. Tick, hauptberuflich (und auch etwas darüber hinaus) Transe und Travestie-Künstler, bekommt einen Anruf seiner Ehefrau, die er vor Jahren (im Guten!) aufgrund seiner Homosexualität verlassen hat. Sein Sohn, Benji, acht Jahre alt, würde anfangen, nach ihm zu fragen – er solle kommen und ihn endlich kennenlernen. Um die lange Reise, einmal durch ganz Australien, sinnvoll zu gestalten, engagiert Marion ihren „Göttergaten“, wie sie Tick immer nennt, und zwei „Freundinnen“ ihres Mannes für eine Travestie-Show in ihrem Casino. Aber der Roadtrip mit einem kleinen Van-Bus sollte sich schwieriger herausstellen als gedacht…
Zugegeben, den großen Plot oder gar die großen Erkenntnisse sollte man nun wirklich nicht in dem Werk suchen, aber wenn man genau diese Erwartungshaltung zurückschraubt, und zwar nur diese, bekommt man eine Show geboten, die zweifellos zu den besten Produktionen der Spielzeit 2017/18 ALLER Theaterhäuser Münchens zählt. Atemberaubende Kostüme, tolle Bühnenkulissen, fantastische Choreografien – das Zusammenspiel, die Komposition der Elemente, ist so perfekt, dass die knapp 150 Minuten in Windeseile verfliegen. Die gesamte Produktion, so überwältigend und abwechslungsreich wie sie durchgehend bleibt, ermöglicht eigentlich keine Berichterstattung, die der Fülle auch nur irgendwie gerecht wird. Nur einzelne Aspekte können herausgehoben werden – und müssen es sogar!
Der wichtigste Punkt bei „Priscilla“, der den Erfolg erst garantiert: das Ensemble, das mit purer Spielfreude, Elan, Witz und Enthusiasmus sich in jeden noch so großen Fummel schmeißt und einfach den Mut dazu hat, auf der Bühne alles zu geben, ohne darüber nachzudenken, wie man wohl gerade mit Abendkleid und riesiger Kopfbedeckung aussehen könnte. Allen voran ist natürlich das Hauptfiguren-Trio zu nennen. Armin Kahl als Tick erschafft eine sensible Figur, die im Laufe des Stücks sich seiner Verantwortung als Vater bewusst wird, aber dabei niemals die transsexuellen Wurzeln seines Inneren vergisst. Terry Alfaro als Adam dürfte neben den meisten Hinguckern auch den größten schauspielerischen Spagat gehabt haben, zwischen großer Drag-Queen und tiefster Verzweiflung, wenn er sich beispielsweise inmitten von massiv zurückgebliebenen und feindlichen „Dorftrotteln“ gefangen fühlt.
Der größte Applaus muss aber zweifelsohne Erwin Windegger gebühren. Seine Darbietung der (alt-)ehrwürdigen Drag-Queen Bernadette lässt den Gärtner-Darsteller endlich wieder nicht nur richtig in einem Stück glänzen, sondern ist sicherlich die größte und stärkste Leistung, die es bisher in der gesamten Gärtnerplatztheater-Spielzeit zu sehen und hören gibt – sehr wahrscheinlich auch darüber hinaus, denn Hingabe für die Rolle, perfektes Timing, eine tolle Umsetzung des Libretto und ein vollkommen angewandter, schauspielerischer Facetten-Reichtum rechtfertigt fraglos die Standing Ovations beim Schlussapplaus. Wenn Bernadette ihrem Freund Adam aus der Patsche vor den „Dorftrotteln“ hilft und Wildegger anschließend den letzten Refrain von „Hot Stuff“ anstimmt, bleibt einem kurzzeitig der Atem weg – der großartigste Moment des Abends.
Musikalisch gibt es eine Reise durch die Disco-Hits der 70er- und 80er-Jahre, von „It’s Raining Men“ über „Girls Just Wanna Have Fun“ zu „Go West“, wunderbar für das Orchester, das dieses Mal mehr einer Big Band gleicht, umgeschrieben und umgesetzt. Andreas Partilla, musikalischer Leiter, schafft es, das Orchester präsent agieren zu lassen, scheitert aber manchmal etwas in den ruhigen Momenten – womöglich mag das auch an der Tonabnahme liegen, die bei einem Musical unabdingbar ist.
Wenn man sich „Priscilla – Königin der Wüste“ also ansieht, was man unbedingt tun sollte, muss man sich allerdings auf eine Tunten-Show par excellence einlassen. Derber Humor, Glitzer und Fummel, zweideutige Sprüche – für Kinder garantiert weniger geeignet, für alle weltoffenen Erwachsenen der Spaß ihres Lebens. Uns fällt nicht viel mehr ein als: unfassbar stark.
Bericht: Ludwig Stadler
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