Es ist eh schon ein Wunder, dass es ganze drei Jahre gebraucht hat, damit der dauertourende Kult-Rocker Lenny Kravitz wieder einmal die deutschsprachigen Gefilde ansteuert. Dieses Frühjahr ist es nun soweit und am 31. Mai 2018 in der Olympiahalle München wurde lautstark der Tour-Auftakt der „Raise Vibration“-Tour gefeiert. Vor etwas weniger als vier Jahren betrat der Musiker zuletzt die Bretter der größten Münchner Indoor-Konzerthalle – Zeit also, dass es wieder einmal richtig losgeht.
Zuallererst gibt es aber eine ordentliche Portion Funk. MF Robots, eine noch recht neue, 8-köpfige Live-Formation, darf in satten 45 Minuten das Münchner Publikum aufwärmen; um dafür mehr Zeit zu haben, legen sie auch kurzerhand 15 Minuten früher los. Doch es ist ein schwieriges Unterfangen: Während Kravitz seine Genres wechselt wie seine Gitarren, bleiben MF Robots recht konstant, ihrem funkig-jazzigen Stil so treu, dass sich manche Lieder unweigerlich doch stark ähneln. Trotz der immens starken Sängerin an der Front, die ihr Haupt mit Pfauenfedern schmückt, bleiben Vergleiche mit den Genre-Pionieren Jamiroquai nicht aus – selbst bei weiblicher Stimme und etwas langsamerer Musik. Es ist schlichtweg zu lang gewesen, aber die sympathische Frontfrau und ihre großartigen Mitmusiker haben es dennoch zu einem soliden Auftritt gemacht.
Bereits direkt danach kommen die Stage-Hands mit Räucherstäbchen, zünden diese an und stecken sie in mystisch wirkende Schüsseln an den Bühnenecken. Das ganze Prozedere wird später noch einmal wiederholt – Lenny Kravitz betritt wohl nur die Bühne in einer guten Räucher-Aura. Fast ironisch, dass sein erster Einsatz mit „Come On Get It“ – etwa gegen 21:10 Uhr – nicht neben den Duftwölkchen, sondern auf der holzigen Konstruktion und Stockwerkerhöhung innerhalb des Bühnenbilds stattfindet. Seine Band ist bereits am korrekten Platz, während er, das Songwriting-Genie, der überragende Sänger und Gitarrist, der Multi-Instrumentalist, erst im Laufe des Liedes sich nach unten bewegt und dort auch für die nächste Zeit bleibt. Was für ein Einstieg! Doch das sollte lange noch nicht alles sein …
Natürlich, Kravitz ist ein seit Jahrzehnten etablierter Musiker, jedes Mal kommen immer noch tausende Menschen, um ihn auch im Jahr 2018 zu sehen. Die Olympiahalle ist zwar in verkleinerter Version, platzt aber dort, vor allem im Innenraum, gefühlt aus allen Nähten. Das mag zwar beizeiten immer dann unangenehm werden, wenn die Getränke-Runner unbedingt sich ins Innerste durchdrücken müssen – aber egal, den Fans ist es das wert, endlich ihren Lenny wieder zu sehen. Der ist auch in glücklicher Poser-Laune, schmeißt sich mit Elan in seine Lieder, spielt sich gemeinsam mit seiner gnadenlos talentierten Band durch die Diskografie und lässt bis zum Schluss immer noch offen, ob er jetzt aufgrund der Euphorie seiner Songs oder bewusstseinserweiternder Substanzen so dermaßen overacted agiert. In jedem Fall liefert er eine Performance ab, die als Frontmann seinesgleichen sucht – da verzeiht man ihm auch gerne den einen oder anderen Playback-Einsatz am Mikrofon.
Die Setlist ist ein schöner Querschnitt durch die respektable Schaffensphase eines Ausnahme-Musikers. Die größten Hits kommen aus den unterschiedlichsten Genres, sei es „It Ain’t Over Til It’s Over“ oder eben das rockige „Fly Away“, und diese Abwechslung ist genauso schön wie leider auch in der Mitte des Sets ein wenig ermüdend. Keine Frage, die Mitmusiker um den Mann am Mikro und der Gitarre sind allesamt große Klassen und verdienen es, in Soli-Parts das Publikum zu überzeugen – wenn aber bei jedem Song ein noch mindestens genauso langer Abschnitt mit ebendiesen angehängt wird, zerrt es etwas an der Geduld. So wundert es nicht, dass Kravitz auf gut 140 Minuten Spielzeit zurücksehen kann, als er mit „Are You Gonna Go My Way“ bereits zum dritten Mal auf die Bühne zurückkehrt und dann endgültig das Geschehen verlässt. Dem gehen „Let Love Rule“ in einer 15-Minuten-Fassung und das fantastische „I’ll Be Waiting“ zuvor, was erstmals seit 2011 wieder auf der Setlist steht.
Die Meinungen zu Kravitz-Konzerten gehen stark auseinander. Komplett unvoreingenommen an ebendieses heranzugehen ist hier wohl die beste Variante, denn das, was der 54-Jährige am Feiertags-Donnerstag in der Olympiahalle abliefert, ist ein erstklassiges Rock-Konzert mit einer ordentlichen Spiellänge. Chapeu!
Setlist: Come On Get It / Bring It On / American Woman (The Guess Who Cover) / Low / It Ain’t Over Til It’s Over / Where Are We Runnin‘? / Believe / I Belong To You / Tunnel Vision / The Chamber / Can’t Get You Off My Mind / What The Fuck Are We Sayin? / It’s Enough / Dig In / Fly Away / Again – Zugabe 1: Let Love Rule – Zugabe 2: I’ll Be Waiting – Zugabe 3: Are You Gonna Go My Way