Es ist Freitag, der 19. Oktober, man erreicht leidlich pünktlich das Gelände des Muffatwerks, um dort Flanell-Gitarrero Kurt Vile anzuhören – und wundert sich über eine ausufernde Schlange, die zu einem nicht unerheblichen Teil aus eher minderjährigen Mädchen zu bestehen scheint. “Schön, dass die Jugend noch so viel für ehrliche Gitarrenmusik übrig hat”, möchte man in Altherrenmanier konstatieren, doch nein: Das Jungvolk schlangt nicht vor der Muffathalle, sondern vor dem Ampere, wo heute Rapper Dardan auftritt. So kann man sich, kulturpessimistische Seufzer ausstoßend, zumindest über die freie Platzwahl in der 30 Minuten vor Beginn noch gähnend leeren Muffathalle freuen…
Um 20 Uhr treten Meg Baird und Mary Lattimore auf die Bühne. Sie sitzen sich gegenüber, Baird an Gitarre und Mikrophon, Lattimore an der Harfe. Das Duo begleitet Vile auf dieser Europatour und spielt Songs vom ersten gemeinsamen Album “Ghost Forests”, das im November erscheint, von Konzertgängern jedoch schon im Vorfeld erstanden werden kann. Mit ihren melancholischen, hypnotisch-leichten Songs und Bairds ätherisch gehauchter Stimme passte das Duo perfekt ins Roadhouse von Twin Peaks. Das hiesige Publikum kann oder will mit solchen Klängen dagegen so gar nichts anfangen. Der Geräuschpegel erreicht fast Bierzelt-Nievau, durch die Wand wummern die Bässe vom Konzert nebenan. Leidtun können einem die beiden dort auf der Bühne, die routiniert genug sind, sich nichts anmerken zu lassen, während ihre Musik ungehört verpufft…
Nach der nicht zu knapp bemessenen Umbauzeit, sind wohl alle wichtigen Dinge besprochen und das Publikum fordert pfeifend, dass Kurt Vile and The Violators herauskommen mögen, um ihr Set mit einer schmissigen Nummer zu eröffnen – was für Vile bedeutet, alsbald seine Haarpracht hinter dem Mikrophon in Stellung zu bringen und mit dem 10-minütigen, ultra-entspannten “Bassackwards” vom neuen Album “Bottle It In” in ein langes, langsames Konzert einzusteigen. Zwar gibt es mit Songs wie “Loading Zones” oder “KV Crimes” auch ein paar kompakte, “rockigere” Songs, hauptsächlich ergeht sich Kurt Vile jedoch in der großen Entspannung. Der Mann hat das Jim Morrison’sche Diktum “Go real slow, you like it more and more” verinnerlicht wie kein zweiter. Die Band präsentiert sich in herrlichem Soundgewand, schafft eine lässig schwurbelnde Klangkulisse, vor der Vile seine eigenwillige und oft im Kontrast zur Musik sehr dunkel gefärbte Lyrik vorträgt, akzentuiert durch fast inflationär eingestreute, hohe, kurze “Whoo”-Rufe, die das Publikum bald nachzuahmen gelernt hat.
Deutlich wird es immer mehr, das Vile keinerlei Lust verspürt, sich als Nachfolge-Messias “ehrlicher Gitarrenmusik” zu präsentieren. Auch nicht als schrulliger Sunnyboy übrigens. Auf eingängigere Kopfnicksongs wie z.B. “Dust Bunnies” hat er keine Lust. Stattdessen findet er Zeit, etwa in der Mitte des Sets, das traurige “Stand Inside” allein an der Akustikgitarre vorzutragen. Auch in Songs wie dem Nick Cave-ischen “Cold Was the Wind” kommt sein Hang zum Melancholischen zum Ausdruck, in seiner Entscheidung, die Songs zu spielen, die er spielt, sein Wille, auf der Suche nach dem „Goldtone“ („Concentrate my hurt into a gold tone“ heißt es da) unbeirrbar sein Ding durchzuziehen, in endloser Repetition weder der Live-Situation noch hergebrachten Kompositionsschemata Tribut zu zollen.
Ehrbar, eine solche Einstellung, jedoch wird es in der immer stickiger werdenden Muffathalle immer schwerer, Vile und seiner Band die angemessene Aufmerksamkeit zu zollen, mitunter schwellen die Unterhaltungen im hinteren Teil des Saals wieder an. Fast eine Erlösung ist es da, wenn der Mann, der nach jedem einzelnen Song seine Gitarre wechselt, zur Zugabe wieder auf die Bühne kommt, und verkündet, “this is a song about … pimpin’”. Routiniertes Pflichtprogramm also zum Abschied, nach einem theoretisch schönen, unnachahmlichen, praktisch etwas anstrengenden Konzert.
Setlist: Bassackwards / Loading Zones / Check Baby / Jesus Forever / Hysteria / Goldtone / Stand Inside / Cold Was the Wind / Walkin on a Pretty Day / Girl Called Alex / KV Crimes / Skinny Mini / Wild Imagination – Zugabe: Pretty Pimpin / Downbound Train (Bruce Springsteen Cover)