Sie begann ihre musikalische Karriere vor einigen Jahren, allein mit Gitarre, nun kehrt sie zurück, drei erfolgreiche Alben in der Hinterhand und mit voller Bandbesetzung. Gemeint ist Julien Baker, die am vergangenen Sonntag, den 8. Mai im Backstage gastierte. Die junge Singer-Songwriterin aus Memphis, Tennessee erzählt in ihren Songs in schonungsloser Offenheit von ihrem Ringen mit Liebe, Sucht und Religion; ihre intelligente, hochemotionale Lyrik in Verbindung mit ihren melancholischen, atmosphärischen Kompositionen hat ihr über die Jahre eine tief verbundene, stets wachsende Hörer*innenschaft eingebracht. Ehe sie sich auf ihrem jüngsten Album Little Oblivions erstmals als Solokünstlerin mit vollständigem Bandsound profilierte, kollaborierte sie öffentlichkeitswirksam mit Lucy Dacus und Phoebe Bridgers unter dem Namen boygenius, woraus eine ebenso benannte EP erwuchs.
Begleitet wird Baker auf dieser Tour von der Band Ratboys. Das Indie-Rock-Quartett aus Chicago, das krankheitsbedingt heute als Trio auf der Bühne der Backstage Halle steht, startet pünktlich um 20 Uhr sein Set. Geboten wird sympathischer, zeitgenössisch orientierter Folk-Rock, souverän ausgeführt, doch nicht unmittelbar einprägsam. Im Gedächtnis bleiben dagegen die gewitzt-verschrobenen Texte und Ansagen der nie um ein Wort verlegenen Frontfrau Julia Steiner, siehe ›Elvis is in the Freezer‹.
Nach knapp 45 Minuten räumen die Ratboys die Bühne für Julien Baker und ihre vierköpfige Mannschaft, die sich mit ›Hardline‹, der Lead-Single von Bakers aktuellem Album wuchtig bemerkbar machen. Schnell wird deutlich: Dies wird kein intimer Singer-Songwriter-Abend, sondern ein Rockkonzert. Die Intensität und Dynamik, die Baker und Band gemeinsam entfalten, ist beachtlich und übertrifft auch bei weitem alles, was Baker auf ihrem zwar umfassend instrumentierte, doch eher dezent und zurückhaltend produzierten Album bietet. Der explosive Shoegaze-, Postrock- und Emo-inspirierte Sound steht Bakers Songs und ihrer Stimme, deren erstaunliches Volumen sie immer wieder unter Beweis stellt, ausgezeichnet zu Gesicht. Auch ältere Stücke wie ›Red Door‹ oder ›Everybody Does‹ funktionieren unter diesen neuen Bedingungen. Etwa zur Halbzeit überlässt die Band Baker die Bühne, und an Keyboard und Gitarre spielt sie einige Songs alleine. Insbesondere in diesem gewissermaßen ungeschützten Rahmen wirkt Baker von ihren Songs mitunter emotional angegriffen; und nicht nur sie: Auch einer Reihe von Zuschauer*innen ist anzusehen, welche Bedeutung diese Musik für sie hat und dass sie an schmerzhafte Seelenzustände rührt. Im Kontrast zur schweren Kost, die sie musikalisch bietet, bemüht sich Baker um einen lockeren, humorigen Ton, wenn sie sich sprechend ans Publikum wendet. Und auch dieser wird ihr, in bisweilen fast irritierender Ausgelassenheit, zurückgegeben. Mit ›Appointments‹, inzwischen wieder mit Bandbegleitung, beendet Baker ihr Set. Als angekündigte Zugabe gibt es das erwähnte ›Everybody Does‹, sowie ›Ziptie‹.
Schweren und leichten Mutes zugleich verlässt man dieses Konzert; Julien Baker bot nicht nur ein emotional intensives, sondern auch musikalisch äußerst überzeugendes Konzert; sollte es von dieser Tour irgendwann einmal ein Live-Album geben, sei es hiermit wärmstens empfohlen.
Setlist: Hardline / Bloodshot / Shadowboxing / Favor / Relative Fiction / Highlight Reel / Red Door / Heatwave / Ringside / Sprained Ankle / Something / Televangelist / Song in E / Faith Healer / Tokyo / Repeat / Sour Breath / Appointments – Zugabe: Everybody Does / Ziptie