Das, was heutzutage Songs wie „Tage wie diese“ von Die Toten Hosen sind, waren damals die Lieder aus den Operetten und Singspielen, aber tatsächlich ganz besonders von „Im weißen Rössl“. Die fröhliche Mixtur aus flottem Theaterstück und beißenden Ohrwürmern vollzieht noch heute, seit der Uraufführung 1930, ihren Siegeszug und gipfelte in der Verfilmung im Jahr 1960 mit u.a. Peter Alexander, die auch vor Beginn der Vorführung im Gärtnerplatztheater oft erwähnt wird. „Mir hat der Film ja so gut damals gefallen“, meinte eine ältere Dame, das sei auch der Grund, wieso sie hier sei. Allgemein ist der Altersdurchschnitt sehr hoch, jüngere Besucher finden sich kaum und sind maximal Begleitung. All das lässt sich allerdings nicht vom Stück behaupten, denn das ist frisch und energisch wie eh und je.
Anfangs betritt Dagmar Hellberg als Reiseleiterin im tiefsten Badisch das Podium und witzelt mit misslungenen englischen Übersetzung ein wenig zum Einstieg mit dem Publikum. Der Humor, allgemein eine Komponente, die wahrscheinlich den größten und wichtigsten Teil neben der Musik ausmacht, kommt wahrlich nicht zu kurz. Die in Hinblick auf Kostüm und Bühnenbild sehr klassische Inszenierung setzt nämlich genau hier auf Einlagen, die zwar teilweise am Rande des Trash kratzen, aber wahnsinnig pointiert funktionieren. Sei es der spontan herabfallende Blitz, das starke komödiantische Spiel oder die unglaublich spitzen und scharfen Dia- und Monologe, die in solch einem Dauerfeuer zünden, dass man wahrlich alle paar Minuten im Theater laut auflachen kann. Im Gegensatz zu beispielsweise „Der Watzmann ruft“, der ebenso stark auf Slapstick und gesprochenem Humor setzt, hat „Im weißen Rössl“ allerdings drei riesengroße Vorteile: eine zwar simple, aber zweckmäßige Geschichte, fantastische Stimmen und diese unsterblichen Lieder.
Die Lieder, allgemein die Musik – sie ist auch der Gewinner der Abends. Das Orchester des Gärtnerplatztheaters unter der Leitung von Andreas Partilla versinkt schon fast ein wenig im Hintergrund, in absoluter Begleitung, denn die Stars sind eben „Es muss Wunderbares sein“, „Was kann der Sigismund dafür“, „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ und die weiteren Werke. Wenn Daniel Prohaska als Zahlkellner Leopold ziemlich zu Beginn erstgenanntes Lied anstimmt, können sich manche Zuschauer mit dem Mitsummen nicht zurückhalten – zurecht, denn wie soll man denn auch die unglaublichen Ohrwürmer einfach nur mitanhören, wenn man sie doch auch mitsingen könnte! Das Gärtnerplatztheater löst die Situation clever und bietet zumeist eine Singalong-Vorstellung an – aufgrund der Corona-Pandemie muss das allerdings dieses Jahr entfallen.
Ansonsten bietet die Inszenierung von Intendant Josef E. Köpplinger tatsächlich alles, was man sich nur wünschen kann: Tempo, Wortwitz, Taktgefühl, irrwitzige Nebenhandlungen, viel Liebe und noch mehr Gefühl, ein wenig Kitsch, viel Schmarrn, aber genauso viele Pointen. Wer sich für einen Besuch entscheidet, bekommt keinesfalls eine altbackene Präsentation, sondern eine frische, fast schon modern anmutende, musikalische Komödie, die nun im Nachhinein nur immer besser wird. Daniel Prohaska als Leopold und Sigrid Hauser als ruppige Rössl-Witwewirtin Josepha harmonieren perfekt und könnten nicht besser besetzt sein, selbst die kleinsten Nebenrollen wie der verwirrte Pförtner funktionieren tadellos. Und am Ende? Da sind natürlich alle glücklich, alles fügt sich, das klassische Happy End.
Bezeichnungen wie „belanglos“ sind womöglich nicht ganz von der Hand zu weisen, aber muss denn immer alles so hochtrabend sein? Ein Abend am Wolfgangsee, mitten im Gärnterplatztheater, dürfte eines der vergnüglichsten Ausflüge in der Theaterlandschaft Münchens sein. Spätestens im Oktober ein Pflichtbesuch mit der Reisegruppe!
Kritik: Ludwig Stadler
Besuchte Vorstellung: 27. September 2020