Keine Angst vor dem Trip!
Eine kommentierte Kritik von Ludwig Stadler
Wer meine Beiträge verfolgt, wird schnell bemerken, dass ich wirklich niemals in der ersten Person schreibe, da damit automatisch ein subjektiver Blick aufkommt. In diesem Fall geht es aber schlichtweg nicht anders, denn es handelt sich um die Menschen, die mich musikalisch wahrscheinlich schon am längsten begleiten: die Killerpilze. Ihr eigener Dokumentationsfilm, sozusagen ihre filmische Biografie, feierte am 27. Juni 2017 auf dem Filmfest München ausverkaufte Premiere, bevor er dann deutschlandweit ab Herbst in den Kinos zu sehen sein wird. Bei der dritten Filmfest-Vorführung konnte dann selbst ich nicht mehr und es zog mich ins Kino, am trüb-warmen Samstag, den 1. Juli.
Die erste kleine Überraschung noch vor dem Beginn: die Band selbst ist auch da! Zwar leider nur kurzzeitig, denn sie sind gerade aus Wilhelmshaven gekommen, wo sie am Tag davor ein Konzert gaben, und später stand ja noch die große Filmfest-Verabschiedung auf dem Plan, aber immerhin. Es folgt natürlich eine kurze Vorstellung der Bandmitglieder und des Regisseurs David Schlichter, dem Bruder von Killerpilze-Gitarrist/Sänger Maximilien „Mäx“ Schlichter. Fabian Halbig, Drummer der Killerpilze und Mitinhaber der Filmfirma NORDPOLARIS, hat produziert und somit ist das Projekt komplett in der Familie und Band entstanden – ein Werk von der Band, finanziert von den Fans durch Crowdfunding, für die Fans. Und hat sich das Ergebnis gelohnt? Aber hallo!
Der Film folgt chronologisch der Band-Historie. Wie war eigentlich der Beginn? Was haben die Killerpilze denn vor ihrem Major-Deal für Musik gemacht? Letztendlich lässt sich sagen: die gleiche, nur noch punkiger. Ein wenig wie die jugendlichen Kaff-Punker, die eine neue Welt in dieser Musik entdeckt haben, wirken sie da in ihrer Gründungszeit. Unbeschreiblich putzig ist es, wenn man da die zehn- bis vierzehnjährigen Jungs bei einem Proberaum-Video im Jahr 2003 beobachtet. Wahnsinn, was da noch entstehen sollte. Und was da letztendlich folgte, nimmt den ausführlichsten Teil des Films ein, denn das ist wahrscheinlich auch der für viele interessanteste und relevanteste.
2006 müsste das gewesen sein, als ich „Richtig scheisse (auf ne schöne Art und Weise)“ auf Viva als Musikvideo gesehen habe (ja, damals hatte Viva noch so eine Bedeutung, dass man das geguckt hatte). Und natürlich hat man da die Historie und Euphorie mitbekommen, die diese Band entfachte, sogar noch einmal wesentlich intensiver als vielleicht größer gehypte Bands zu dieser Zeit, wie z.B. Tokio Hotel und US5. Der Grund? Inzwischen würde man das wohl „Realness“ bezeichnen. Und genau das wird gnadenlos angesprochen: der Umgang mit dem schnellen Ruhm, der Plattenfirma, dem Exzess und letztendlich auch dem Ausstieg von Bassist Schlagi und dem Ende ihres Major-Deals.
Mit eigenem Label und noch größerer Motivation erschienen die Alben „Lautonom“ (2010) und „Ein kleines bisschen Zeitgeist“ (2011). Zugegeben, diese Alben gingen an mir persönlich ein wenig vorbei, auch wenn ich die Releases mitbekam, und wurden erst 2012 entdeckt und gehört – einfach aus dem Grund, dass zu dieser Zeit nicht Musik das Hauptthema in meinem Leben war. Im Leben der Killerpilze war es das aber – dieser Ehrgeiz, dieser Enthusiasmus ist bewundernswert und genau hier fast schon spirituell-inspirierend auf Leinwand zu verfolgen. Das Erzähltempo wird schneller, der Informationsgehalt bleibt gleich. Schade, dass genau diese Phase fast zu wenig ausführlich wegkommt, denn genau das war die Ausbruchsphase, die Phase der puren Energie, der absoluten Aggression, vielleicht sogar die Phase die Selbstfindung, die – Respekt für das von Grund auf ehrliche und persönliche Erzählen – eine neue Stufe nach dem Tod des Vaters von Drummer Fabian und Sänger/Gitarrist Johannes „Jo“ Halbig einnahm und zur Bandpause führte.
Das war nun auch der Moment, in dem ich wieder einstieg – kurz vor „Grell“, dem fünften Album der Killerpilze, das Anfang 2013 erschien, da war die Motivation wieder da, Musik zu entdecken, und tatsächlich fiel es nicht schwer, die Killerpilze wiederzuentdecken. Und wow – es war unfassbar, was die Jungs inzwischen für Musik produzierten. „Grell“ ist objektiv ihr wohl vielfältigstes und bestes Album und auch mein persönlicher Liebling, denn neben Songs wie „Studieren“ und „A.W.I.T.M.“ und ordentlichen Brechern wie „Lauf“ befindet sich die Balladen-Trilogie „Himmel“ auf dieser CD – das bisher vielleicht ehrlichste Lied der Jungs. Eine großartige Wiederentdeckung. Nicht nur ich scheine die Band wiederentdeckt zu haben, auch sie haben sich selbst ein wenig neu erfunden, neue Kraft gefunden, neue Lust, zu spielen und zu überzeugen. Zum Glück!
Deutschlands größte Crowdfunding-Aktion, das aktuellste Album „High“ (2016), der „Rock am Ring“-Auftritt 2013 – einige Highlights in der Geschichte der drei sich treuen Jungs aus Dillingen, die klare Zeichen geben: die harte Arbeit lohnt sich, das Interesse steigt wieder, die Liebe zur Musik ist sichtlich spürbar. Stolz und glücklich darüber wirken sie in den Interviews, stolz und überzeugter denn je. Das Olympiastadion bespielen mit einem eigenen Konzert, das ist der Wunsch von Fabian. Und wer weiß, wohin die ganze Geschichte um die drei Jungs noch hingeht. Nach rund elf Jahren bleibe ich jedenfalls dabei und dem Weg der Band treu, was für eine Frage. Denn der Weg ist lange noch nicht zu Ende; der Kinofilm, der ab Herbst auch die Kinos erobert, wird nicht nur mich darin bestätigen, dieser Band weiterhin zu folgen. Selten war eine Musik-Doku ergreifender, ehrlicher und intensiver. Selten ausführlicher und doch zu kurz. Und selten mitreißender, denn ein Leben auf der Überholspur innerhalb von 107 Minuten darstellen, das entspricht einer wahren Meisterleistung, die mit Bravour gelingt. Ohne Frage der nächste Gewinn und Sieg der Band. Ob es der letzte bleibt? Sicher nicht, denn wenn die Killerpilze eines sind, dann ist es das: immer noch jung.
An dieser Stelle übrigens herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Publikumspreises des Filmfest München! Aber mal ehrlich – wer, wenn nicht ihr?
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