Müsste man aufzählen, welche großen Künstler Deutschland national vorzuweisen hat, würde man sehr schnell auf einen Namen gelangen, den wohl gefühlt jede Person kennt: Herbert Grönemeyer. Der Komponist, Musiker und niemals stillstehende Lebemann hat es nach seinem Zyklus vom Album „Dauernd jetzt“ noch einmal gewagt, sich fleißig ans Liedermachen gesetzt und mit „Tumult“ ein überraschend ruhiges und textstarkes Werk über die derzeitige (politische) Situation in Deutschland, aber auch weltweit gemacht. Die Arena-Tour führt ihn gleich zweimal in die Olympiahalle München, beide Male restlos ausverkauft. Den Auftakt macht der 19. März 2019.
Fast schon im Hintergrund und vor halbleerer Halle beginnt BRKN um 19:15 Uhr sein Vorgruppen-Set, hat es aber sichtlich schwer, anfangs Reaktionen von den Menschen zu bekommen. Grönemeyer hat mit dem Berliner Multiinstrumentalisten beim Song „Doppelherz / Iki Gönlüm“ zusammengearbeitet, den beide später auch noch gemeinsam vortragen werden – nur konsequent aber, dass er den Rapper nicht nur für wenige Minuten auf die Bühne holt, sondern sie ihm für 25 Minuten vollends übergibt. BRKN selbst spielt Saxophon, dann rennt er zum Klavier, um anschließend wieder irgendeine eingängige Melodie zu singen. Das Publikum lässt ihn mit würdigem Applaus nach dem Song „Bordeaux“ von dannen gehen. Vielleicht musikalisch nicht allzu passend an diesem Abend. Aber wo sollte es denn andererseits weniger Genre-Grenzen geben als bei Grönemeyer?
Der Umbau gestaltet sich recht schnell, bereits um kurz nach 20 Uhr ertönt das schier endlose Intro, bevor sich die Leinwand hebt und alsbald der einzig wahre und echte Herbert Grönemeyer ans Mikrofon tritt, um mit dem überraschend ruhig-intimen „Sekundenglück“ den langen Abend zu starten. Eine riesige Produktion überwältigt auf der Bühne und wuchtiger, ausgewogener Sound bringt die 8-köpfige Band, mit der der Frontmann tourt, durch die Boxen, aber dennoch nicht zu aufdringlich – er weiß um sein unfassbar gemischtes Publikum, das die sprichwörtlichen 8-80 Jahre tatsächlich beinhaltet. Allerdings nicht repräsentativ – der Großteil besteht doch aus der Generation, die damals in der besten Jugendzeit war, als die großen Hits von „Bochum“ bis „Männer“ auf den Markt kamen. Dementsprechend lautstark werden die altehrwürdigen Hits mitgesungen. Teilweise spielt die Band nur noch instrumental – das Publikum regelt den Gesang laut genug alleine.
Grönemeyer selbst überrascht vor allem die Erstbesucher mit seiner quirligen, pausenlos aktiven Art. Er tanzt sich über den Laufsteg, spielt sich mit dem Publikum in Mimik und vor allem Gestik, steht über den gesamten Zeitraum niemals still und stachelt seine Besucher durchgehend zu Jubelstürmen an – ein waschechter Entertainer, der auch mit 62 Jahren absolut nichts von seinem Esprit verloren hat. Selbst für kurze, aber deutliche politische Ansagen nimmt er sich Zeit. „Keinen Millimeter nach rechts“, singt er so in seinem Lied „Fall der Fälle“ – und die Halle mit ihm. Letztendlich ist er aber auch ein sich bestätigendes Vorurteil, denn er erfüllt tatsächlich alle Klischees, mit denen ihn etliche Imitationen immer wieder aufziehen. Sei es das energisch-abgehackte „Dankeschön! Danke. Danke. Wundervoll!“ in Dauerschleife, die Mimik am Piano oder der teilweise absolut unverständliche Gesang, bei dem man bis zum Refrain nicht so genau weiß, welches Lied da nun gerade gespielt wird, beispielsweise „Alkohol“. Nichtsdestotrotz – oder gerade deshalb – ist Grönemeyer ein absolut Original.
„Herbert!“, hört man es einige Reihen entfernt von euphorischen, weiblichen Mittvierzigern kreischen, als wäre da der neueste Teenie-Schwarm auf der Bühne. Ob Grönemeyer jemals dergleichen war, sei dahingestellt, inzwischen ist ihm seine Position als jahrzehntelanger, etablierter Musiker bewusst, der er bei jedem Konzert gerecht werden will. Satte 31 Lieder stehen so auf dem Programm, zusätzlich eine eigene Version von „Oh, wie ist das schön“, in die das Publikum selbstredend gleich einsteigt. Insgesamt dreimal lässt er sich wieder auf die Bühne klatschen, um sich dann anschließend immer wieder feiern zu lassen – nach rund 160 Minuten Spielzeit mehr als gerechtfertigt. Ganz am Ende des Stegs steht er dann, die Arme ausgebreitet und den Jubel einsaugend. Man könne sich ja gar nicht vorstellen, was das, selbst nach all den Jahren, immer noch für ein Gefühl sei, für so ein Publikum zu spielen, sagt er. „Dafür lebt man.“
Setlist: Sekundenglück / Bist du da / Und immer / Kopf hoch, Tanzen / Taufrisch / Bochum / Männer / Was soll das / Vollmond / Mein Lebensstrahlen / Halt mich / Stück vom Himmel / Doppelherz/Iki Gönlüm (mit BRKN) / Fisch im Netz / Fall der Fälle / Mensch / Alkohol / Bleibt alles anders / Der Held / Morgen – Zugabe 1: Oh, wie ist das schön / Der Weg / Flugzeuge im Bauch / Musik nur, wenn sie laut ist – Zugabe 2: Land unter / Demo (Letzter Tag) / Zeit, dass sich was dreht – Zugabe 3: Warum / Lebe mit mir los / Kinder an die Macht / Ich will mehr / Immerfort
Bericht: Ludwig Stadler