„Finger weg von der Unabhängigkeit der Kunst!“ – Solidarisierung mit den Kammerspielen und dem Volkstheater

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Wahnsinnig spannend ist es derzeit zu beobachten, was innerhalb der künstlerischen Szene Münchens passiert. Fraktionsvorsitzender des CSU-Stadtrates, Manuel Pretzl, sendete gestern einen Antrag an den Oberbürgermeister Dieter Reiter, in welchem er dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen für den Intendanten der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, forderte. Grund sei die Unterstützung der Kammerspiele der Demo „Ausgehetzt – gegen die Angstpolitik von Söder, Seehofer, Dobrindt und co“. Dies widerspreche, so Pretzl, der Parteienunabhängigkeit, an die die Kammerspiele geheftet wären. Eine „Ungeheuerlichkeit“, wie Lilienthal findet. Kunst ist frei im Denken und Handeln und muss als eigenständige Instanz gelten – das war schon immer so und macht sie ja genau eben aus. Dieser „Maulkorb“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, ist ein erbärmlicher Versuch, die Propaganda der eigenen Partei zu schätzen. Da die Demo sich explizit gegen eine Hetz- und Angstpolitik wendet, zudem ein Eingeständnis, dass die eigene Partei diese verfolgt. Der Antrag, findet die SPD im Stadtrat, sei ein „Tiefpunkt des demokratischen Grundverständnisses“.

Sowohl das Münchner Volkstheater (das in der Debatte irgendwie vergessen wurde und ein weiteres Mal aufzeigt, dass Pretzl mehr um Kammerspiele-Diffamierung als Inhalte ging) als auch die Münchner Kammerspiele gelten als Unterstützer und Unterschreiber der Demo, wie wir als „Kultur in München“ übrigens auch. Spannend waren hierbei dann vor allem die Solidarisierungen anderer Instanzen. Im Folgenden wollen wir euch die Solidarisierungen des Residenztheaters und des Muffatwerks im Wortlaut wiedergeben und uns ihnen anschließen!

Residenztheater, Intendant Martin Kušej (18. Juli 2018)

„Dass ich mich einmal gezwungen sehen würde, für meine Münchner Kollegen Matthias Lilienthal und Christian Stückl eine Solidaritätserklärung abzugeben, hätte ich noch vor ein paar Jahren nicht gedacht; es kann nicht sein, dass den Kollegen ‚dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen‘ drohen, weil sie eine Demonstration unterstützen, die u. a. die Werte unserer demokratischen Grundordnung stärken möchte. In den letzten Monaten habe ich insbesondere auf den politischen Druck aufmerksam gemacht, dem Theaterschaffende in Polen oder Ungarn ausgesetzt sind. Doch auch die politischen Debatten in Deutschland haben sich spürbar verändert. Die Demonstration ‚#ausgehetzt‘ am 22. Juli finde ich wichtig, sie richtet sich meiner Ansicht nach nicht pauschal gegen die CSU, sondern gegen eine verantwortungslose Politik der Spaltung – gegen diesen dummen Wahlkampf-Populismus und die ideologische Verzerrung des Christlichen, den die CSU in ihrem Namen führt. Damit wird der humanistische, tolerante, barmherzige und mitmenschliche Aspekt durch eine deutliche Ausgrenzung ersetzt – mit ‚Kultur‘ hat das meines Erachtens wenig zu tun und Kulturschaffende sollten sich ungestraft dazu verhalten dürfen.“

Muffatwerk, Dietmar Lupfer und Christian Waggershauser (19. Juli 2018)

„Das Muffatwerk, als Ort dessen künstlerisches und kulturelles Programm von Toleranz und der
Befürwortung einer offenen Gesellschaft geprägt ist, möchte seine Solidarität mit den Intendanten der Kammerspiele und des Volkstheaters bekunden. Politische Kräfte sollten die Finger davon lassen, die Freiheit und Unabhängigkeit der Kunst einschränken zu wollen. Ein Umbau der kulturellen und künstlerischen Landschaft in der Art, wie es in Ungarn in den letzten Monaten und Jahren geschehen ist, ist grundsätzlich abzulehnen und darf nicht zur deutschen Realität werden. Wenn die Verrohung der Sprache um sich greift, eine gesellschaftliche Spaltung fördert und Angst verbreitet, kann und darf man nicht stumm bleiben.“

Selbstverständlich solidarisieren wir uns auch mit den Kammerspielen und dem Volkstheater wie auch allen anderen städtischen oder staatlich geförderten Bündnissen – Kunst lebt davon, eine eigene freie Meinung zu haben und diese nach außen zu tragen, womöglich sogar damit etwas zu verändern. Wir als Institution, die über Kunst berichtet, sehen es auch als Aufgabe, auf Aktionen wie beispielsweise die #ausgehetzt-Demo hinzuweisen. Ich hoffe, wir sehen uns alle am 22. Juli, um dieser Politik Einhalt zu gebieten, die schlichtweg nicht mehr auszuhalten ist.

Ludwig Stadler
Redaktionsleitung