Eine lange Schlange. Viele Menschen. Anschließend geht es mit dem Aufzug nach unten, direkt in eine der Probebühnen der Münchner Kammerspiele. Und diese wiederum ist ausgestattet mit einer große Konstruktion, 12 Kabinen beinhaltend, die sich im Kreis um eine runde Drehbühne versammeln. Das klingt alles ziemlich verrückt und irgendwie auch abgefahren, aber genauso wird es wohl über das Wochenende passieren, wenn am morgigen Donnerstag, 20 Uhr, das Projekt „New Beginnings“ gestartet wird.
Die erwähnte Konstruktion: wie in einer Peepshow. Der Besucher ist alleine in einer Kabine, als kleine Hommage eine Packung Taschentücher, ein Mülleimer, sonst nur ein Stuhl. Sitzt man einmal auf diesem und zieht sich die Kopfhörer auf, die von oben herunter baumeln, nimmt man wie in einer Parallelwelt nur noch diesen Ton wahr und sonst nur das Bild, was durch die Scheibe zu sehen ist. Diese Scheibe allerdings ist so konzipiert, dass die Person auf der Bühne die Zusehenden nicht sieht, stattdessen aber die Zusehenden die Bühne und das Geschehen. „Wie im Internet“, bringt Regisseur Alexander Giesche als passenden Vergleich. Als er von seinem Projekt erzählt, strahlen seine Augen doch ein wenig. Ein Herzensprojekt – und kein Wunder, bedenkt man den unfassbaren Arbeitsaufwand, der dahintersteckt.
Am 7. Juni um 20 Uhr geht es los. Am 10. Juni um 12 Uhr ist es vorbei. 64 Stunden am Stück – keine Pause. Einmal, nie wieder. Wenn man die Chance nicht ergreift, hat man es verpasst und wird es nie wieder sehen. Allein dieses Spiel mit der Gedanken-Psychologie wird dazu führen, dass sich eine lange Schlange bilden wird, denn schließlich gibt es nur 12 Kabinen. Jede und jeder darf solange bleiben, wie man es persönlich für richtig hält – doch das Bewusstsein, dass etliche Leute auf diesen Platz warten, kann man wohl kaum ablegen. Diese werden aber beim Warten gut versorgt – im Foyer der Kammer 2 öffnet die Bar „TAM TAM BAR“ – zur Premiere und an den Folgetagen ab 17 Uhr.
Nun sitzt man als Theaterbesucher also in dieser Kabine und sieht sich an, was dort auf der Drehbühne passiert. Was genau? Das kann niemand sagen. Giesche und Dramaturg Benjamin von Blomberg haben insgesamt 145 Szenen mit den Schauspielern ausgearbeitet – in Hinblick dessen, dass sieben Szenen etwa eine Stunde ergeben, sicher rund 20 Stunden Material. Zusätzlich werden etliche Spezial-Gäste erwartet, von ThaiMassage über Greenpeace bis zu D’Schwuhplattlern – wann die Einsätze sind, weiß keiner so genau. Was passiert, sowieso nicht. Das werden dann genau 12 Personen wissen – denn dann ist der Moment vorbei. Ein unglaubliches Projekt, das glücklicherweise dokumentativ begleitet wird – allerdings nur die Arbeit hinter den Kulissen. Das Geschehen auf der Bühne, einmal vorbei und für immer verloren. Außer für 12 Personen.
Tickets gibt es nur vor Ort für 10€ und ermäßigt für 5€. Kommen und Gehen immer möglich. Achja, und beim Toilettengang wird der Platz frei und man darf sich wieder neu anstellen – keine Vorzugsberechtigung, jeder muss sich anstellen. Ob es sich lohnt? Ob man etwas verpasst? Das kann man nur vor Ort herausfinden. 64 Stunden lang. Es gibt nur diese eine Chance.