2017 war fraglos das Jahr von Nothing More – ihr Album „The Stories We Tell Ourselves“ ging weltweit durch die Decke, besonders „Go To War“ als Aushängeschild hat die Massen mitgerissen. Ganze drei Grammy-Nominierungen erreichten sie, und noch wichtiger: Renommee und etliche neue Fans. Die Euphorie kam auch in Deutschland an, 2019 spielten sie erstmals ausverkaufte Solo-Shows mit fast vierstelliger Besucherzahl. Dann: die Pandemie. In der Zeit entstand das neue Album „Spirits“, welches musikalisch problemlos an die Genialität des Vorgängers anschließen kann – die europäischen Gefilde werden aber erst im Juni 2023 wieder befahren. Passend dazu eine Headliner-Show in München – am 22. Juni 2023 präsentieren sie in der Backstage Halle ihr Vollprogramm!
Den Abend starten aber erst einmal TIDALWAVE. Die Berliner spielen an diesem Abend tatsächlich ihr erstes Konzert seit vier Jahren – und präsentieren sich in bester Spiellaune. Seit vielen Jahren gibt es das Projekt rund um Frontmann Dean Schweitzer bereits, mal mehr, mal weniger aktiv. Noch im Januar 2019 haben wir sie vor Hoobastank im Technikum sehen können, mittlerweile wirken sie fokussierter und entspannter. Das wirkt sich positiv auf den Auftritt aus: die Songs sitzen, das Genre passt wunderbar und die Münchner machen fleißig bei den Interaktionen mit. Nach 25 Minuten findet der Auftritt allerdings bereits sein Ende.
Das Mr. Sandman-Intro läutet bekanntlich dann Nothing More ein und schallert gegen 21:10 Uhr aus den Boxen. Kurz darauf folgen die vier Musiker und starten sogleich mit „Spirits“ – der lange, ausführliche Titeltrack des neuen Albums. Schnell fällt auf: hier passt alles! Der Sound ist laut, glasklar und perfekt abgemischt, Frontmann Jonny Hawkins ist bestens bei Stimme und ausnahmsweise schleichen sich auch mal keine technischen Schwierigkeiten ein – es läuft einfach rund. Einziges Manko ist höchstens das Fehlen des „Scorpion Tails“, dem Signature-Soundinstrument der Amerikaner, an dem Hawkins im Laufe des Sets draufspringt und rumdoktert. Kann man schlecht erklären, aber nachdem die Showeinlage reichlich Platz braucht, besonders in die Höhe, wird darauf an diesem Abend verzichtet. Doch aus der Not wird eine Tugend gemacht: die Songs, die für dieses Instrument auf der Setlist stehen, werden kurzerhand durch spannende Deep Cuts ersetzt: „Don’t Look Back“ vom neuen Album und vor allem „If I Were“ aus der 2014er Selftitled-Platte. Wow!
Die Temperatur ist den ganzen Tag schon drückend heiß, da konnte das zu Konzertbeginn langsam startende Gewitter wenig ändern. Dementsprechend heizt die Backstage Halle in sauberer Geschwindigkeit ordentlich auf, das Publikum gleicht zunehmend einer Horde Menschen, die mit Kleidung geduscht haben; Hawkins Bemalungen auf seinem immer noch stählernen Oberkörper machen sich immer mehr selbstständig und verfließen. Doch die Amerikaner nehmen sich ihren eigenen Song „Don’t Stop“ zum Motto und brettern enthusiastisch weiter. Auf dem Balkon stehen die Kollegen von I Prevail und sehen sich die energetische Show an, bevor sie selbst am Samstag auf dem Königsplatz wieder spielen dürfen. Ob sie dieses Leven an schierer Perfektion in der Performance erreichen, bleibt zu abzuwarten – was Nothing More in ihrer 75-minütigen Show im Backstage abliefern, ist nicht weniger als ein Orkan. Jetzt schon deutlicher Anwärter auf das stärkste Konzert des Jahres 2023!
Setlist: Spirits / Do You Really Want It? / Tired Of Winning / Ships In The Night / You Don’t Know What Love Means / If I Were / Jenny / Let Em Burn / Go To War / Don’t Look Back / Don’t Stop / Face It / I’ll Be OK / Fadein/Fadeout / Ocean Floor / This Is The Time (Ballast)
Bericht: Ludwig Stadler
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