Wenn eine Band die pandemische Zeit unermüdlich genutzt hat, dann wohl Architects. Zuerst erschien ihr Album „For Those That Wish To Exist“ im Jahr 2021 und markierte ein durchdachtes, mächtiges Metal-Album, das den Spagat aus Core, Stadion-Rock und orchestraler Stärke perfektioniert, womöglich aber auch manchmal den Bogen überspannt. Das haben sie dann aber im nur ein Jahr später erscheinendem „the classic symptoms of a broken spirit“ wieder etwas korrigiert, denn die Songs sind rau, ruppig und wirken oft wie ein Fragment eines fertigen Songs – im positiven Sinne. So beehren sie München nun, nach einer Verschiebung, mit gleich zwei neuen Werken im Gepäck am 9. Januar 2023.
Als Unterstützung mit dabei: Sleep Token. Die Briten spielen ihre erste Deutschland-Tour und haben den etwas undankbaren, extrem frühen Slot um 18:50 Uhr, dem noch nicht allzu viele Besucher*innen beiwohnen. Ihr verspielter, durchaus progressiver Ambient Rock hätte deutlich mehr verdient! Deutlich mehr los ist bei Northlane, die gegen 19:40 Uhr das Djent- und Metalcore-Feuerwerk zünden, für das sie seit Jahren bekannt und beliebt sind. Frontmann Marcus Bridge wirkt in seinem Hippie-Gewand zwar eher wie Jared Leto für harte Musik, die Performance von ihm und seinen Mitmusikern lässt aber nichts zu wünschen übrig und wummert eindrucksvoll aus den Boxen. Die Menge dankt es mit den ersten Moshpits des Abends.
Setlist: Clarity / Plenty / Echo Chamber / 4D / Carbonized / Clockwork / Bloodline / Talking Heads
Als Architects um 20:50 Uhr mit einer riesigen flimmernden Leinwand ihr Set beginnen, ist noch nicht klar, dass sie für beachtliche 125 Minuten auf dieser Bühne ihre Diskografie huldigen werden. Die Briten nehmen die recht kurze Deutschland-Tour zum Anlass, um ihre sonst eingespielte, 90-minütige Spielzeit auf ein Extremum zu treiben und satte 24 Lieder auf die Setlist zu schreiben. Das, was bei Pop- und Rock-Künstler*innen im größeren Segment mittlerweile doch des Öfteren geschieht, ist bei einer Musik, wie es Architects betreiben, ein äußerst überraschender Kraftakt, denn der Metalcore fordert das Publikum und ganz besonders die Kehle von Sänger Sam Carter. Der hält aber im weißen Anzug gekonnt durch, geht zwar bei manchen schwierigen Songs wie „Royal Beggars“ nicht die Extrameile im Refrain, aber weiß sonst durchwegs zu überzeugen. Die Instrumental-Fraktion glänzt zwar fraglos spielerisch, sieht aber beizeiten doch eher etwas lustlos aus dabei.
Dabei ist eigentlich alles da für eine mächtige Arena-Show: die tolle Produktion mit starkem Bühnenbild, eine astreine Performance und ein Sound, der selbst das klanglich zickige Zenith beben lässt. Zum Verhängnis wird den Briten höchstens ihr eigener Anspruch: die Spielzeit. Denn bei über zwei Stunden rutschen einfach zu viele live-untaugliche, unbedeutende Songs in die Liste, die mehr Lückenfüller-Niveau aufweisen. So lässt „Dead Butterflies“ oder „burn down my house“ eher gelangweilt als gefesselt zurück und führt zu dem, was bei Core-Konzerten selten passiert: einem Durchhänger. Hier wäre die Konzentration auf Hits und Kracher – explizit auch auf neure Songs wie „be very afraid“ und „deep fake“, die völlig mitgerissen haben – wohl der bessere Weg. So bleibt um kurz vor 23 Uhr mit dem abschließenden „Animals“ ein klangstarker Jahreseinstieg, dem man höchstens die eigene Ambition zum Vorwurf machen kann. Mehr ist nicht immer mehr.
Setlist: Black Lungs / Modern Misery / be very afraid / These Colours Don’t Run / deep fake / tear gas / Giving Blood / Impermanence / Meteor / Discourse Is Dead / Broken Cross / Little Wonder / a new moral low ground / Dead Butterflies / Royal Beggars / A Match Made In Heaven / Memento Mori / A Wasted Hymn / burn down my house / Hereafter / Doomsday – Zugaben: Nihilist / when we were young / Animals
Bericht: Ludwig Stadler