Schandmaul – eine Hobbyband? Der Artikel der Süddeutschen Zeitung vor einigen Tagen mit Schlagzeuger Stefan Brunner schockierte doch kurz: die mit Goldenen Schallplatten ausgezeichnete Folk-Rock-Band Schandmaul ist personell wieder zurückgekehrt in die alten, vorherigen Jobs und betriebt die Musik nur noch als Hobby. Bei einer Band dieser Größenordnung, die bundesweit mehrere tausend Menschen zu Konzerten zieht und 2016 sogar Platz #1 der Album-Charts erklettert, ein ordentlicher Schock. Und dennoch: Konzerte gibt es aktuell und wohl noch länger nicht im sinnvollen Stil, ein hauptberufliches Leben von sechs Musikerin schier aussichtslos. Konzerte geben die Münchner dennoch, wenngleich natürlich, der Situation geschuldet, wenige und außergewöhnliche. Mit ihrem Doppel-Heimspiel in der Arena Süd des Backstage München haben sie Freunde und Fans am 9./10. Oktober 2020 beglückt. Wir waren fotografisch am ersten und redaktionell am zweiten Tag dabei.
Die Schlange vor der Arena ist, wie zu erwarten, doch ordentlich lang zum Einlass, das Gelände füllt sich zackig und Schandmaul starten, wohl auch aufgrund des strikten Endes um 22 Uhr, schon ein paar Minuten vor dem offiziellen Beginn um 20 Uhr, fast unscheinbar mit aus dem Nichts erschallendem Intro und dem anschließenden Kracher „Herren der Winde“. Die sechs Musiker*innen sind von der ersten Sekunde an grandios abgemischt, druckvoll im Klang und dennoch nuanciert genug, um jedes Instrument laut genug und würdig zu hören. Einzig der Gesangsstil von Frontmann Thomas Lindner erschwert manchmal, die Texte immer perfekt zu verstehen – aber die Töne sitzen glasklar, nur das zählt. Und textsicher sind die Fans sowieso, was sie nicht nur einmal zeigen dürfen: sei es bei „Der Kapitän“ oder bei „Bunt und nicht braun“, dass die Menge einfach weitersingt und die Band zum spontanen Zusatz-Refrain bringt. Das ist Spontanität, das ist Live-Musik.
Selbst drei neue Songs wandern ins Gepäck der Spielmannsleute. Zwei davon haben sie bereits während ihrer Strandkorb-Konzerte in Mönchengladbach vorgestellt, der dritte im Bunde, „Luft & Liebe“, feiert in München Premiere und klingt wohl auch am typischsten nach Schandmaul, während „Königsgarde“ ordentlich im Old School Rock-Gewand daherkommt. „Knüppel aus dem Sack“ dagegen dürfte der metallischste Song des Abends sein und in Wacken, sobald es denn wieder stattfindet, einen wahren Freudensturm auslösen, wenn Schandmaul es anstimmen. Aber auch die Klassiker wie „Krieger“, „Vogelfrei“ oder „Walpurgisnacht“ lösen beim Publikum sitzenden Jubel aus. Letzteres wird, statt ekstatischem Tanzen, eben kurzerhand zur Laola-Wellen-Nummern umgeformt. Das läuft zwar nur halbgar, aber egal, die Fans jubeln die Band dennoch zu einer wohlverdienten Zugabe heraus. Mit „Dein Anblick“ und pünktlich um 22 Uhr schließen die Mäuler den Abend und damit auch ihr Konzertjahr 2020. In Zukunft, so Brunner im Interview, werde man weniger Zeit für Musik, Band und Konzerte haben, auch wenn die Pandemie vorbei ist. Da sollte man die Gelegenheiten definitiv nutzen, die kultigen Folk-Rocker zu sehen, die seit über 22 Jahren ihr Unwesen treiben.
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Setlist: Herren der Winde / Das Tuch / Krieger / Auf und Davon / Königsgarde / Froschkönig / Bunt und nicht braun / Vagabunden / Knüppel aus dem Sack / Die goldene Kette / Saphira / Der Kapitän / Leuchtfeuer / Luft & Liebe / Missgeschick / Vogelfrei / Geisterschiff / Der Totengräber / Der Teufel… / Walpurgisnacht – Zugaben: Vor der Schlacht / Die Insel / Dein Anblick
Bericht: Ludwig Stadler
Bilder: Ronja Bierbaum