Eigentlich wollten wir hier nun einen objektiven, aber wohl dennoch ironisch-witzigen Beitrag über das Konzert von der arg sexualiserenden Influencerin Katja Krasavice posten, da wir schon eine äußerst berichtenswerte Show erwartet haben. Zum Zeitpunkt unserer Anfrage Mitte Februar war das also unser einziger Antrieb – damals wussten wir noch nicht, dass dies das nun wohl letzte Großkonzert und wohl auch allgemein letzte Konzert bis zum mindestens 19. April 2020 sein wird. Während bereits zwei Tage zuvor, auf Reaktion der schnellen Verbreitung von Covid-19, auch Corona-Virus genannt, jegliche Großveranstaltungen über 1000 Personen behördlich verboten wurden, verschärfte sich das kurz darauf auf über 500 Personen, mittlerweile in einem allgemeinen Veranstaltungsverbot. Das Technikum, in dem Krasavice am 12. März 2020 ihr Konzert spielen sollte, fasst 759 Personen. Restlos ausverkauft seit Monaten.
Kein Problem. Nicht nur ein Songtitel des aktuellen Albums „Boss Bitch“ heißt so, auch ihre Einstellung zur drohenden und eigentlich in diesem Moment wohl nur konsequenten Absage. Aber Katja Krasavice möchte ihre Fans nicht im Regen stehen und letztendlich auch nicht ihre tatsächlich stark konzipierte und ausgearbeitet Show sich verbieten lassen – so beschließt sie kurzerhand, zwei Vorstellungen mit maximal 499 Personen zu spielen. Erst um 18:30 Uhr, dann noch einmal um 21 Uhr. Die Anzahl wird genau kontrolliert. „Wir verarschen Corona“ verlautbart sie da noch entschlossen in ihrer Instagram-Story. Und fraglos: eine Doppelbelastung für die Kartenkäufer auf sich zu nehmen, ohne es zu müssen, ist ein respektabler Zug. Um 18:30 Uhr stehen dann allerdings erst rund 150 Personen im Technikum – erst als die magischen 260 Personen erreicht werden, geht es um kurz nach 19 Uhr los. „Privatkonzert“ witzelt Krasavice. Es wird das einzige am Abend bleiben – ihre zweite Show wird untersagt, sie entschuldigt sich persönlich bei den vor der Halle wartenden Fans. „Wir haben alles versucht“. Wir waren allerdings in der ersten Show – und berichten.
Ein großer Schriftzug schimmert bereits durch: „Boss Bitch“. Wie sie gehänselt und verlacht wurde, weil sie sich immer schon gern (über)schminkt und gern viel Sex gehabt hatte, erzählt sie in einer Art theatralischen Trailer – aber sie habe es allen gezeigt, durch sie allein ist sie berühmt geworden, die Marke ihres Namens etabliert und ist nun das, was sie ist: die Bossbitch. Der Vorhang fällt, das gleichnamige Lied beginnt, die beiden Tänzerinnen gehen aufs Ganze. In der Mitte: Katja Krasavice. Sie schreitet langsam und vorsichtig die Treppen herunter, bewegt sich anzüglich, aber gemächlich. Ganz live ist ihr Sprechgesang, wie zu erwarten, nicht, es läuft ein Backing Track mit, aber wider Erwarten greift sie nicht zum Vollplayback. Doch obwohl ihr Debüt-Album einige gekonnte Trap-Nummern enthält, aufgrund der Musik kommen die teils äußerst ausgefallen gekleideten Fans sowieso nicht – sie kommen, um ihre Internet-Sensation, ihre Lieblings-Influencerin, teilweise ihr Idol zu sehen. Das, was Krasavice vermittelt, ist dabei etwas wüst: einerseits kann, darf und soll man als Frau ruhig seine Reize auskosten, aber letztendlich ist man selbstbestimmt und nicht auf das Geld von reichen Typen angewiesen. Erst recht nicht von „Flexern“, also Männern, die nur Reichtum vorgaukeln, was sie bissig im vielleicht stärksten Titel „Uhuh“ thematisiert.
Letztendlich geht es aber um die Show, die sich durchaus als solche bezeichnen darf. Die Tänzerinnen legen längere Solis hin zu Luftsäulen, Feuer und ausgediegener Lichtshow, die Krasavice für Outfitwechsel nutzt. Neben einigen Einlagen, beispielsweise einem überdimensionalen Barbie-Karton bei „Gucci Girl“, bittet sie auch Fans auf die Bühne und lässt sie am Glücksrad drehen, das Merch-Gewinne beinhaltet – aber auch ein Instagram-Follow von ihr persönlich, was ein mit LED-Lämpchen leuchtender, oberkörperfreier Mann freudestrahlend erreicht. Rund 70 Minuten reist die als YouTuberin erfolgreiche gewordene Bossbitch durch ihre Diskografie, die, neben dem Album, auch wenige Einzellieder beinhaltet, welche immerhin mit „Doggy“ und als abschließende Zugabe „Sex Tape“ vertreten sind. Weder Kopfschütteln noch verzweifelte Fluchtversuche sind eingetreten – im Gegenteil, Katja Krasavice bietet eine amüsante, abwechslungsreiche und vor allem aufwendige Konzertshow für ihre Fans, die ihr Geld absolut wert ist. Beim nächsten Gastspiel dann hoffentlich ohne Corona-Krise und mit allen Kartenkäufern.
Setlist: Boss Bitch / Sugar Daddy / Ein andermal / Wer bist du / Nudes / Alles bounct / Rodeo / Uhuh / Casino / Kein Problem / Gucci Girl / Lolli / Liebeslieder / Frühstück ans Bett / Doggy – Zugabe: Sex Tape
Bericht: Ludwig Stadler