Kaum ein Musical legt im deutschsprachigen Raum so einen unfassbaren Erfolgszug zurück wie das Schauer-Märchen um Professor Abronsius und seinen Assistenten Alfred, die zum Schloss des Grafen von Krolock wollen, um die Wirtstochter Sarah zu retten. Als der Film „Tanz der Vampire“ von Roman Polanski im Jahr 1967 erschien, wurde bereits schnell klar, dass sich die humorige Geschichte zum Kult entwickeln sollte. Das Musical, welches in Wien 1997 das Licht der Welt erblickte, ist da nur die konsequente Weiterentwicklung. Hunderte Menschen zieht es jeden einzelnen Abend ins Theater, seit inzwischen über zwei Jahrzehnten. Nun, im Theater des Westens in Berlin, findet die jahrelange Tour-Produktion ihr Ende – und damit auch vorerst das Kult-Musical.
Doch woher kommt diese Faszination? Dieses Mal finden zwar keine Visual Key-FanatikerInnen ihren Weg in das historische und wunderschöne Musical-Theater am Kurfürstendamm, dennoch erkennt man schnell die begeisterten Fans, die das Stück garantiert nicht zum ersten Mal besuchen – eifrig studieren sie die Cast-Liste am umfangreichen Merchandise-Stand. Allein die Tatsache des umfangreichen Merch-Angebots verrät schon: hier handelt es sich nicht um eines von vielen Musicals, sondern eben um das Eine von vielen. So spürt man während der gesamten Vorstellung, dass hier jeder Handgriff perfekt sitzt, der Cast genau weiß, was er tut, und jedes Bühnenbild längst alteingesessen ist – und dabei aber nie altbacken. Dass es doch langsam aber sicher veraltet, dass man sich mal etwas Neues einfallen lassen solle – all diese Stimmen erklingen zur immer noch exakten Inszenierung seit den deutschen Anfangsjahren um die Jahrtausendwende. Und dennoch wirkt genau diese Inszenierung an diesem Abend so frisch wie vielleicht nie zuvor.
Das liegt bestimmt grundlegend am jungen und höchst talentierten Cast. Die interessantesten und faktisch relevantesten Darsteller der Musical-Szene haben irgendwann einmal ihre Zeit in „Tanz der Vampire“ gehabt, egal ob Alexander Klaws, Jan Ammann, Lucy Scherer oder Thomas Borchert, der sogar als abschließender Graf Anfang 2019 zur Produktion zurückkehrt. Derzeit darf Filippo Strocchi den bissigen Fürsten der Dunkelheit mimen. Der Italiener war bereits im Vorgänger-Jahr als Zweitbesetzung des Grafen in Wien zu sehen, nun also die Position des First Cast – und die steht ihm gut! Mit einer starken und vor allem in den langen Tönen immens starken Stimme und einer Mimik, die selbst routinierten Besuchern noch das Fürchten lehren kann, überzeugt auf ganzer Linie und gibt Krolock die doch so wichtige persönliche Note. Sebastian Brandmeir spielt den Professor Abronsius wesentlich weniger zerbrechlich als sein Vorgänger, dafür wissensdurstiger und stimmlich auch in den höchsten Countertenor-Lagen, wie im Solo „Wahrheit“, stark. Mit Jerzy Jeszke als Chagal sind selbst die Nebenrollen bestens besetzt, was sich auch durch die gesamte Liste des Ensembles zieht. Sicherlich gab es über die Jahre auch einmal Fehlbesetzungen – davon ist man derzeit meilenweit entfernt, besser hätte man die Rollen nicht vergeben können.
Absolutes Highlight: Raphael Groß als verliebter Jüngling Alfred und Anja Wendzel als pubertierende Wirtstochter Sarah. Während Groß äußerlich wohl der perfekte Alfred sein dürfte, liefert er ebenso stimmlich eine Punktlandung und fasziniert mit dem wohl stärksten „Für Sarah“-Solo seit Jahren. Wendzel springt für die erkrankte Diana Schnierer ein und gilt dabei schon seit langer Zeit als absoluter Geheimtipp – wer das Glück hat, die spiel- und stimmstarke Österreicherin zu sehen, wird garantiert nie enttäuscht; und all das tritt auch so ein. Wenn Groß und Wendzel als träumendes Bühnenpaar zu „Draußen ist Freiheit“ ansetzen, schmilzt man fast vollkommen dahin, so großartig, so schön ist der Moment. Und ja, romantisch ist das dann auch ein wenig, selbst wenn die beeindruckende Tanz-Sequenz diese Stimmung schnell bricht. Dafür gibt es fantastisch dargebotene Choreografien zu einem leider etwas kleinen, aber dafür motivierten Orchester – von einem Hochgefühl ins nächste.
Gibt es dann eigentlich überhaupt irgendwas Negatives? Wohl kaum, denn „Tanz der Vampire“ steht nicht grundlos seit Jahren unangefochten auf dem Thron der erfolgreichsten Musicals. Lohnt sich es nun also dafür nach Berlin zu fahren? Wer das Gastspiel im Deutschen Theater vor rund zwei Jahren miterleben durfte, kennt die Antwort: ja! Aber noch mehr, ist die aktuelle Besetzung schlichtweg ein perfekter Schachzug, sodass selbst Dauerbesucher noch einmal eine beeindruckendere Variante erleben können. Zugegeben, faktisch wandert letztendlich der Großteil der Wien-Besetzung nach Berlin – aber die europäische Musical-Hauptstadt hat die Darsteller nun ja nicht grundlos ausgewählt. Tiefste Empfehlung für den vorerst letzten Halt eines unsterblichen Klassikers. Aber wer weiß wie lange? Denn mit dem Titel eines anderen Musicals gesprochen: Love Never Dies.
Kritik: Ludwig Stadler
Besuchte Vorstellung: 6. November 2018