Was anfangs noch wie eine normale Headliner-Tour zum aktuellsten Werk von Sleeping With Sirens klingt, mausert sich spätestens nach der Ankündigung der ganzen drei (!) Support-Bands zu einem tourenden Manifest der aktuellen Alternative Metal-Szene. Ein Quasi-Festival bekommt man da für 34€, das auch am 18. November 2019 im Technikum stoppt. Kein Wunder also, dass die Halle bereits gut gefüllt ist, als um 19:25 Uhr das erste Mal die Lichter erlischen.
SHVPES machen den Anfang – und wieder einmal fragt man sich, wieso diese Band eigentlich nicht schon längst dem Status einer Opener-Band entwachsen ist. Sowohl Performance als auch Musik entsprechen absolut dem Zeitgeist und punkten vor allem damit, dass alles vollkommen live dargeboten wird. Insbesondere Frontmann Griffin Dickinson, der Sohnemann des Iron Maiden-Sängers, macht dermaßen Stimmung auf der Bühne und rast von einer Seite zur nächsten im Sekundentakt. Ihre Geschwindigkeit lässt sie auch ganze acht Songs in 30 Minuten darbieten – und den ersten und bis zum Headliner einzigen Moshpit starten.
Setlist: One Man Army / Undertones / Skin & Bones / Someone Else / Renegades / Counterfeit / Calloused Hands / Afterlife
Was nun aber um 20:10 Uhr folgen sollte, hat niemand so recht auf dem Schirm: Holding Absence. So unspektakulär die extrem jungen Musiker auf die Bühne huschen, so explosiv wird es, als ihr Opener „Permanent“ loslegt – mit einer Soundwand, die wie ein Orkan durch das Technikum fegt. Die unfassbar emotionale, treibende und vor allem authentische Darbietung von Sänger Lucas Woodland geht mit seinen außerordentlich starken und schlichtweg beeindruckenden Stimme einher, sodass die 30 Minuten der Band viel zu schnell vergehen und das Publikum geplättet nach „Penance“ zurücklassen wird. Dieser Auftritt bleibt kaum greifbar und scheint nicht übertreffbar im Genre des Post-Hardcore.
Setlist: Permanent / Your Love (Has Ruined My Life) / Monochrome / To Fall Asleep / Like A Shadow / Penance
Natürlich ist es schwer und fast unmöglich, nach so einer Wucht aufzutreten und die Fans abermals abzuholen, zudem nun die mittlerweile dritte Band vor der eigentlichen Hauptband kommt. Palisades gelingt das allerdings relativ gut, was natürlich auch daran liegt, dass sie die gleiche Devise wie ihre Vorgänger verfolgen: alles wird live gespielt. Selbstverständlich ist das leider nicht, der Trend geht zu Backing Tracks und gar Teil-Playback. Das haben Frontmann Brandon Elgar, der für den erkrankten Louis Miceli vom Bass zum Mikrofon wechselt, und seine Musiker-Kollegen nun wahrlich nicht nötig, sie spielen sauberen Alternative Metal mit ordentlich Hardcore-Anleihen, sogar ein sehr gelungenes Linkin Park-Cover von „One Step Closer“ findet seinen Weg in die Setlist. Zwar können sie nicht ganz an die starken Vorgänger-Auftritte anschließen, müssen sich allerdings auf keinen Fall verstecken, zudem sie mit massiver Geschwindigkeit ihren Auftritt bestreiten und damit sogar ganze zehn Titel in ihre 35 Minuten bekommen. Respekt!
Setlist: War / Shed My Skin / Cold Heart (Warm Blood) / Through Hell / Fade / Fall / Better Chemicals / One Step Closer (Linkin Park cover) / Let Down / Erase The Pain
Dem Headliner ist man damit einen finalen Schritt näher, bevor um 22 Uhr dann tatsächlich Sleeping With Sirens mit „Leave It All Behind“ ihr Konzert beginnen. Mit ihrem aktuellsten Werk „How It Feels To Be Lost“ beweisen die Amerikaner, dass sie nichts von ihrer musikalischen Durchschlagkraft verloren haben und auch nach zwei relativ poppigen und offenherzigen Alben ihre Emo-Atmosphäre immer noch in sich tragen. Das ist es letztendlich auch, was die Band Anfang der 2000er-Jahre in respektable Höhen katapultiert hat, noch immer zählen sie neben My Chemical Romance zum Oldschool-Kern des Emo-Rocks – ein Genre, das mittlerweile zwar fragwürdige Formen angenommen hat, aber von der älteren Schiene immer noch als das genommen wird, was es nun ja auch ist: Rock, der genauso auf die Bühne gebracht werden muss.
Den Härtegrad haben Sleeping With Sirens an diesem Abend ordentlich angezogen – den Akustik-Part haben sie kurzfristig rausgeworfen, stattdessen „Here We Go“ hinzugefügt. Das neue Material, welches tatsächlich die Hälfte des Konzerts einnimmt, präsentiert sich zudem unerwartet ruppig und irrsinnig mitreißend, was die textsichere Fan-Menge ebenso sieht und die neuen Werke genauso freudig betanzt und besingt wie die Klassiker „Kick Me“ oder „Better Off Dead“. Herausragend dabei: Sänger Kellin Quinn. Seine hohe Stimme ist einerseits Markenzeichen der Band, andererseits oftmals Grund, wieso vermeintliche Rock-Urväter die Band ablehnen. „This is the part where I sing higher than any girl before“, kommentiert er so selbstironisch vor „Blood Lines“. Rein technisch begeistert Quinn aber allemal. Nach 75 pausenlosen Minuten – ohne Ballade oder Ruhe-Pol – endet das Konzert mit „If You Can’t Hang“. Was für ein großer Abend!
Setlist: Leave It All Behind / Never Enough / Tally It Up: Settle The Score / Better Off Dead / How It Feels To Be Lost / Do It Now Remember It Later / Another Nightmare / Blood Lines / Medicine (Devil In My Head) / Agree To Disagree / Break Me Down / Here We Go / If I’m James Dean, You’re Audrey Hepburn – Zugaben: Kick Me / If You Can’t Hang
Bericht: Ludwig Stadler