Der Release ihres neuesten Albums „Gute Laune, ungerecht verteilt“ kann wohl getrost als äußerst erfolgreich beschreiben werden: Erstmals erreichen Kettcar Platz 1 der offiziellen deutschen Album-Charts. Der Weg von „Landungsbrücken raus“ bis zu den neueren Songs wie „München“ mag zwar stilistisch nicht allzu weit entfernt liegen, zeitlich trennen diese Lieder aber 22 Jahre. Diese Historie, ihr neues Album und nicht zuletzt dessen Erfolg feiern die Hamburger auf einer ausführlichen Tour durch Deutschland, die sie nach einem Stopp in München am 18. April 2024 in der TonHalle auch zwei Tage darauf am 20. April 2024 in die Columbiahalle Berlin führt.
Die Vorgruppen auf dieser Tour wurden alle selbst ausgewählt – so auch Christin Nichols, die um 20 Uhr mit ihrer Band loslegt. Die Schauspielerin und Musikerin hat erst kürzlich ihr neues Album „Rette sich wer kann“ veröffentlicht und präsentiert dementsprechend einen großen Haufen neuer Lieder während ihres 40-minütigen Sets. Euphorisches Tanzen, ausgelassene Performances und einfach eine äußerst gute Zeit auf der Bühne zu haben – das scheint ein wenig der Ansatz der quirligen Berlinerin zu sein. Gepaart mit den wirklich fetzigen Songs, guten Texten und einer bestens aufgelegten Band macht es reichlich Spaß, den Musiker*innen zuzusehen. Chapeau!
Kettcar folgen kurz darauf um 21:05 Uhr und haben sogar ein kurzes Intro-Schimmern, bevor Wiebusch, Bustorff und Co. die Bühne betreten und mit „Auch für mich 6. Stunde“ ihre rund 110-minütige Reise durch ihre Diskografie beschreiten. Während Sänger Marcus Wiebusch tatsächlich mit Kommentaren zu den einzelnen Release-Zeitpunkten der Songs durch das Programm streift, kontert Reimer Bustorff irgendwann, dass man zwischen dem ganzen Nostalgie-Gesabbel nicht das neue Album vergessen sollte. Zurecht, denn die neuen Lieder kommen an diesem Abend nicht nur wunderbar an, sie entfalten auch grandiose Live-Wirkung, sei es das punkige „München“ oder das ergreifende „Ein Brief meines 20-jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter)“. Sogar das textlastige und durchaus kompliziertere „Kanye in Bayreuth“ funktioniert.
Insgesamt scheinen die Fahnen bei Kettcar ganz im Zeichen der E-Gitarre zu stehen – relativ laut und ruppig präsentiert sich die Setlist. Natürlich dürfen weder die Klassiker noch Wiebuschs immer noch überragender Solo-Song „Der Tag wird kommen“ fehlen, als zurückgekehrte Nummer in die Setlist darf sich aber nichts Melancholisches, sondern besonders Lautes rühmen: „Ich danke der Academy“. Auch nach über zwei Jahrzehnten hat dieses Lied nicht ein Quäntchen an Energie und Aussagekraft verloren! Und dementsprechend laut jubelnd freuen sich die Berliner*innen über die bestens aufgelegten Hamburger, feiern ihre astreine Performance, die sympathischen Ansagen voller humorvoller Anekdoten und tanzen gegen Ende auch fleißig in der Menge mit. Kurz vor 23 Uhr dann: „Deiche“ und ein letztes euphorisches Applausjubeln. Würden die rund 3000 Besucher*innen nicht sowieso schon stehen, wäre es nun Zeit für Standing Ovations. Kettcar im Jahr 2024 – besser aufgelegt als je zuvor.
Setlist: Auch für mich 6. Stunde / Benzin und Kartoffelchips / Money Left To Burn / Balkon gegenüber / 48 Stunden / Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun) / München / Rettung / Notiz an mich selbst / Balu / Ein Brief meines 20-jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter) / Der Tag wird kommen / Doug & Florence / Ankunftshalle / Im Taxi weinen / Kanye in Bayreuth / Kein Außen mehr / Landungsbrücken raus – Zugaben: Trostbrücke Süd / Auf den billigen Plätzen / Ich danke der Academy / Deiche
Bericht: Ludwig Stadler
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