Einige Jahre hat es gedauert, dass sich die Modern Metaller von I Prevail nach Europa getraut haben, erstmals im vergangenen Jahr zum Doppelfestival Rock im Park & Rock am Ring war es soweit. Da ist ihr bereits drittes Album „Trauma“ schon erschienen und hat, wie zu erwarten, positive Resonanzen in Fan-Kreisen erhalten. Dass ihre erste Europa-Tour im Frühjahr 2020 aber so rasend schnell ausverkauft, überrascht, aber macht natürlich auch neugierig, ob sie ihrem Ruf als „neue Hoffnung des Metal“ hinterherkommen und ihren Genre-Mix auch auf der Bühne so darbieten können wie auf ihren, relativ überproduzierten, Alben. Am 7. März 2020 in der restlos ausverkauften TonHalle.
Dream State stellen sich zu überraschend früher Uhrzeit um 19:30 Uhr schnell als absolut passender Support heraus. Angetrieben werden die Walisen dabei maßgeblich von Frontfrau CJ, die mit passionierten Ansagen und noch passionierterer Performance durch die wuchtigen Alternative Rock-Songs streift, dabei auch kleine Ausflüge in die Hardcore-Richtung vornimmt, Screams inklusive. Das ist alles sehr stimmig, macht Laune, funktioniert auch durch das sehr offenherzige Publikum und gelingt anschließend eben, weil auf die Interaktionen angesprungen wird. Ehrlich dankbar verabschieden sich die vier Musikerinnen und Musiker nach rund 45 Minuten und hinterlassen eine tatsächlich aufgewärmte Menge. Eine grandiose Wahl.
Setlist: Made Up Smile / Hand In Hand / In This Hell / Are You Ready To Live? / New Waves / Open Windows / Twenty Letters / White Lies / Primrose / I Feel It Too
Glücklicherweise nutzen I Prevail die frühe Startzeit nicht für eine unnötig lange Umbaupause, sondern beginnen um 20:45 Uhr ohne arg langes Intro mit „Bow Down“. Der Sound kommt etwas unerwartet, denn die Gitarren knallen messerscharf aus den Boxen, stimmlich präsentieren sich die Frontmänner in Bestform und das Münchner Publikum scheint die lange Wartezeit auf einen Auftritt in ihren Gefilden deutlich mit eskalativen Moshen ausgleichen zu wollen. Clever beantworten sie die Frage, wie man denn wohl diese maßlose Überproduktion der letzten beiden Alben auf die Bühne bringen möchte: gar nicht. Live entscheidet man sich für einen roheren, ungeschliffen Klang, der sich vollkommen auf die Instrumentalisten stützt – einzig der Bass kommt aus der Büchse. Schade, dass man für die aktuelle Tour wohl wieder auf einen Live-Bassisten verzichtet hat, sicherlich eine zu bearbeitende Baustelle für die kommenden Touren.
Besonders überraschend: die Vocal-Front. Einerseits ist da Eric Vanlerberghe, der sich um die gutturalen Stimmen, die Raps und auch härtere Cleans kümmert, andererseits Brian Burkheiser, der sich komplett auf die Refrains und Clean-Vocals konzentriert. Sie beide bilden die Doppelspitze der Gruppe und erreichen so einen wirklich ausgeglichenen Sound. Das unterstützt zusätzlich Gitarrist Steve Menoian, der zwischenzeitlich den Clean-Gesang aufgrund einer Krankheit Burkheisers übernahm und nun fester Teil der Stimmfront ist. „Stuck In Your Head“ präsentiert er dabei komplett und glänzt, wie seine beiden Kollegen, mit Treffsicherheit. Allgemein sind die Amerikaner so unfassbar tight, dass jede kleine Pause gelingt und die teilweise relativ durchschnittlichen Lieder doch deutlich mächtiger erscheinen. Neben Any Given Day, das haben sie in ihrer mit 70 Minuten zwar kurzen, aber mitreißenden Show bewiesen, dürften I Prevail die derzeit stärkste Live-Band im Core-Business sein, die sich nicht vollends auf alten Formeln ausruht, sondern experimentierfreudig die verschiedensten Genres mischt. Wenn das musikalische Resultat letztendlich nun auch auf dem Album so druckvoll und organisch klingt wie auf der Bühne, ist dem Siegeszug der Band weltweit wohl keine Grenzen gesetzt.
Setlist: Bow Down / Gasoline / Scars / Rise Above It / Hurricane / Stuck In Your Head / Blank Space (Taylor Swift cover) / Low / Goodbye / Every Time You Leave / Paranoid / Deadweight / DOA – Zugaben: Breaking Down / Come And Get It
Bericht: Ludwig Stadler