Der Begriff Urgestein oder gar Legende wird in Promo-Texten geradezu inflationär verwendet und trifft letztendlich nur auf einen Bruchteil der beschriebenen Dinge zu. Bei einer Person stimmen allerdings absolut alle dieser Bezeichnungen, völlig ohne PR-Ausschweifungen: Heino. Der Volksmusik-Barde irrt nun bereits seit rund 58 Jahren auf den Bühnen dieser Welt umher, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Nun ruft der Mann mit der Sonnenbrille allerdings zum letzten Schlag. „Und Tschüss“ heißt das letzte Album, dazu auch die letzte offizielle Tour. Ein Stopp in München ist hierbei fast Ehrensache – und so begibt es sich, dass eine Schar von Menschen am 2. März 2019 ins Backstage Werk eintritt, die unterschiedlicher kaum sein könnte.
Natürlich, da gibt es das erwartbare Publikum von größtenteils weiblichen Fans sichtlich fortgeschrittenen Alters, die wohl schon seit „Blau blüht der Enzian“ für ihre Blondlocke schwärmen. Und die haben nicht selten ihre Kinder dabei, die wahrscheinlich selbst bereits Eltern sind, denn jenseits der 40 ist die nächste Generation allemal bereits. Aber es gibt eben auch die feierwütige Fraktion, bestehend aus rausgeputzten jungen Herren in bunten Anzügen und Heino-Imitationen. Und die Metal-Heads in ihren Kutten und T-Shirts von Thy Art Is Murder bis Heaven Shall Burn – denn Heino, der ist so viel mehr TRVE, als es Manowar jemals sein könnten. So oft wie der Name des Sängers während des Auftritts euphorisch durch den Zuschauerraum gegrölt wird, hat sich der Ruhrpottler den Titel als „Slayer der Schlagerszene“ absolut verdient.
Punkt 20 Uhr ertönt „Also sprach Zarathustra“, live gespielt von einer 11-köpfigen Band, die Richard Strauss’ Komposition in München alle Ehre machen. Wenn sich einer so ein Intro leisten kann, dann wohl allemal Heino, der sogleich lächelnd zu seinem Gesangspult schreitet und mit dem Tote Hosen-Cover „Tage wie diese“ zu ersten Mitsingstürmen animiert. „Liebe Freunde“, beginnt er seine strukturierten Ansagen immer wieder, aber sonderlich weit kommt er nicht – die Münchner Menge ist begeistert, der Name des Schlagerstars ertönt im Dauerchor, Heino selbst ist geschmeichelt. „Das ist ja lauter als am Rosenmontag in Köln“. Dann lächelt er wieder – überzeugt, nicht selbstgefällig. Nach knapp sechs Jahrzehnten im Showgeschäft noch zu solchen Begeisterungsstürmen zu gelangen – wahrlich keine Selbstverständlichkeit.
Denn Heino wäre fast ein wenig in der Versenkung verschwunden, gar vielleicht, wie die letzten Jahrzehnte, als zwar konstante, aber irgendwie nur zu belächelnde Schlagerinstanz von der Bühne getreten, wenn er nicht 2013 zum finiten Schlag ausgeholt und sich die Unsterblichkeit gesichert hätte. „Mit freundlichen Grüßen“ heißt das Album, das der Karriere einen wahren zweiten Frühling bescheren sollte: Heino covert aktuelle Pop- und Rock-Songs in seinem Stil, bekommt viel Feedback und stürmt an die Spitze der Charts. Er selbst macht wieder von sich reden und lässt dabei die gecoverten Bands sich selbst bloßstellen. Während die bierernsten Weltstar-Metaller von Rammstein den Volksmusik-Barden sogar auf das Wacken-Festival zum Gastauftritt (erfolgreich) einladen, diffamieren sich die ach so lockeren Punk-Spaßvögel Die Ärzte selbst mit der Androhung einer sechsstelligen Schadensersatzforderung. Dass das so einen Coolness-Faktor von einem Gartentraktor hat, weiß Heino selbst auch, und teilt kurzerhand auf Facebook einen Artikel über die Forderung mit dem süffisanten Kommentar: „Ist das noch Punkrock?“. Ich glaube nicht.
Heino selbst ist mit seinen stattlichen 80 Jahren aber so Punkrock, wie man es überhaupt nur sein kann. Ganze 100 Minuten steht er ununterbrochen auf der Bühne, singt sich, einschließlich zweier Medleys, durch über 20 Lieder und scheint dabei zu keiner Sekunde auch nur annähernd zu schwächeln. Selbst dem intrafamiliären Nachwuchs gibt er eine Chance: sein Enkel Sebastian spielt sein Lied „Der Junge mit der Gitarre“, wie auch bereits auf dem Abschiedsalbum. Sehr aufgeregt und unsicher wirkt er noch, aber ausgestattet mit ordentlichem Potential zum nächsten Radio-Popmusiker im deutschsprachigen Markt – die richtigen Kontakte dürfte er ja bereits haben.
„Schwarzbraun ist die Haselnuss“ wünscht sich sein Background-Sänger, woraufhin der Klassiker natürlich angestimmt wird und in einer kleinen Rap-Einlage der Hintergrundgesangsfraktion endet. Der neue Babo sei er, heißt es da, während die Frauen ihn anschmachten. Hannelore, seine Langzeit-Ehefrau, sieht sich das ganze Spektakel von der Seite an und nimmt es mit Humor. Dass Heino mit großer Lederkutte und silber-glänzenden Initialen herumläuft, unterstützt die berechtigte Inszenierung als selbstironischer Boss des Schlagers. Bei anderen selbsternannten Bossen mag vom Salat der Bizeps schrumpfen, bei Heino wächst der Kultfaktor von Tag zu Tag. Denn wenn seine jüngsten Fans in 60 Jahren das gleiche Alter wie der Volksmusik-Sänger erreicht haben, sind viele heutigen Idole längst vergessen und Geschichte – an die Lieder wie „Die schwarze Barbara“ und „Blau blüht der Enzian“ wird man sich aber immer noch erinnern. Egal, ob als Jugendsünde oder tatsächliche Liebe. Mach’s gut, Heino!
Setlist: Also sprach Zarathustra / Tage wie diese (Die Toten Hosen cover) / Teure Heimat / Hohe Tannen / Rosamunde / Junge (Die Ärzte cover) / Der Junge mit der Gitarre (gesungen von Enkel Sebastian) / Halleluja (Leonard Cohen cover) (gesungen von Enkel Sebastian) / Was soll das (Herbert Grönemeyer cover) / Augen auf! (Oomph! cover) / La Paloma / Seemann, deine Heimat ist das Meer (Lolita cover) / Willenlos / Das Model (Kraftwerk cover) / Ja, ja, die Katja, die hat ja / Schwarzbraun ist die Haselnuss / Wilde Rosen / Bilder im Kopf (Angie) / Tampico/Und sie hieß Lulalei/Karneval in Rio / Sierra Madre / Die schwarze Barbara/Carambo, Caracho, ein Whiskey/Mohikana Shalali / Blau blüht der Enzian / Ein Kompliment (Sportfreunde Stiller cover) – Zugabe 1: Über sieben Brücken musst du gehen (Peter Maffay cover) – Zugabe 2: Hoch auf dem gelben Wagen
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Bericht: Ludwig Stadler
Foto: Martin Schröter