Montag, 30. Juli: Du wolltest stilecht mit schwarzem Kapuzencape zum Chelsea Wolfe-Konzert im Feierwerk auftauchen? Tja, bei stabilen 30 Grad Außentemperatur und Aussicht auf noch mehr im Innern des vollen Hansa 39 schließt man sich dann doch lieber der Kurzhosengang denn der Gothic Squad an…
Dass Chelsea Wolfes Sargent House-Labelkollegen Brutus auf dem Grünstreifen vor dem Eingang hätten spielen müssen, um ein ordentliches Publikum vor sich zu haben, lässt sich jedoch nicht sagen. Das sympathische Trio aus Belgien, das in den vergangenen Monaten bereits ausgiebig mit Russian Circles und Thrice unterwegs war, bietet ein ausgewogenes, nicht zu kurzes Set. Ihr Post-Hardcore schielt manchmal eingängig in Richtung Punk und wird nach oben hin stimmig abgeschlossen durch den Gesang von Schlagzeugerin Stefanie, die zeigt, wie man bei vokaler und trommelnder Vollbeschäftigung und hinter dem Drumkit an den äußersten Bühnenrand verbannt noch fast frontfrauhafte Präsenz an den Tag legen kann.
Auf die wahre Frontfrau des Abends heißt es aber noch warten, bis nach 22 Uhr Schlagzeugerin Jess Gowrie die Becken flüstern lässt und schließlich die messerscharf wummernden Bässe von „Carrion Flowers“ anzeigen, dass das Tor zu einer anderen Dimension respektive dem Backstagebereich endlich offensteht und Chelsea Joy Wolfe an ihren mit schwarzen Haaren behängten Mikrophonständer tritt, um ihre – ganz im Cave‘schen Sinne – Songs of Joy vorzutragen.
Diese speisen sich hauptsächlich aus ihrem neuesten Werk „Hiss Spun“ und dem vorhergehenden „Abyss“. Dementsprechend geht es hier viel eher um Post-/Sludge-/Doom Metal, denn um sphärischen Düsterfolk, wie Wolfe ihn vor allem auf dem Akustikalbum „Unknown Rooms“ pflegte. Dennoch: Musik und Darbietung haben etwas Einzigartiges an sich, das nicht wenigen Genrebands fehlt und sich in der zentralen (Künstler-)Person bündelt. Dabei ähnelt Wolfes Auftritt bei aller Differenz dem ihrer Vorband darin, dass man hier vergeblich nach künstlicher Aufblähung sucht: Weder hat sie es nötig die emotionale Dichte ihrer Songs (besonders u.a. „After the Fall“, „16 Psyche“, „Twin Fawn“) durch theatralisches Gebahren zu betonen noch ihre Weiblichkeit als Attraktionsfläche auszuschlachten. Zumeist nur schemenhaft sichtbar, durch grelle Spots von hinten beleuchtet, performt sie konzentriert an Gitarre und Mikrophon. Was nicht nur völlig ausreichend, sondern genau richtig ist: Von einigen Hitze-Dropouts abgesehen ist der Beifall groß, als Chelsea Wolfe und Band die Bühne nach einer guten Stunde verlassen, um kurz darauf „Feral Love“ und das sehr intensive „Scrape“ als Zugabe zum Besten zu geben. Als sich Wolfe zu Letzterem, die schwarze Mähne im Gesicht und in Tödlich-verwundete-Sirene-Modus singend, ins Publikum begibt, ist Gänsehaut angesagt – und auch Hutziehen. Sich einen solchen musikalischen wie dramaturgischen Druckpunkt bis zum Schluss aufheben können, und zwar so, dass er nach der Setlist noch als halbe Überraschung und Plus erscheint, das ist nicht jedem gegeben und spricht eine Auszeichnung aus.
Oder, um es einfacher auszudrücken: Chelsea Wolfe spielt im Feierwerk ein starkes, intensives Konzert, frei von jeder Schaustellerei.
Setlist: Carrion Flowers / Spun / Vex / Demons / After The Fall / Dragged Out / Survive / Particle Flux / 16 Psyche / The Culling / Twin Fawn // Feral Love / Scrape