Trends zu erkennen, bevor sie vollkommen eintreten, ist schwierig, fast unmöglich. Beim Rapper NF war es zwar abzusehen, dass er wohl irgendwann größer wird, da Talent, lyrisches Können und starke Beats, aber dass es mit der 2019er-Platte „The Search“ so rasant weltweit gelingt, kam überraschend. Seine Europa-Tour mit nicht allzu kleinen Hallen in Deutschland verkaufte quasi direkt nach Ankündigung aus, die Erwartung ist riesig. Woher also diese Euphorie? Ist die Begeisterung berechtigt? Am 6. März 2020 in der TonHalle sollten sich diese Fragen recht schnell klären.
Zuvor allerdings Kyd The Band, der bereits beim Vorgänger-Album auf der Amerika-Tour dabei war und nun wieder als fester Wegbegleiter von NF im Vorprogramm agiert. Eine kluge Wahl, denn auch der aus North Carolina stammende Devin Guisande, wie er eigentlich heißt, hat sich deutlich weiterentwickelt, was bereits sein Einstieg „Human“ beweist und insbesondere seine neueste Single „Go There“ und das noch unveröffentlichte „Heartbreak Anthem“. Mit einer angenehmen, souligen Stimme und leichtem Rap-Einschlag streift er durch seine poppigen Lieder, die aber niemals das billige Radio-Klischee erfüllen. Einzig „Easy“, der Abschluss, ist dann doch arg massentauglich – übrigens genau das Lied, was in Antenne Bayern in Dauerrotation läuft. Nichtsdestotrotz: eine verdiente Reichweite, vor allem in Hinblick auf das volle Repertoire und das Können des Künstlers.
Setlist: Human / This Time Last Year / Heartbreak Anthem / Go There / Dark Thoughts / Wishful Thinking / Easy
35 Minuten lässt sich NF mit dem quasi nicht so wirklichen vorhandenen Umbau Zeit, denn hinter einem Vorhang befindet sich bereits die gesamte Bühnenausstattung. Das Intro von „The Search“, ein düsteres-bedrückendes Wummern, breitet sich also über eine halbe Stunde über das extrem junge Publikum aus, bevor um exakt 21 Uhr das Licht erlischt und die Reise in die Gedankenwelt des Ami-Rappers beginnt. Der Fokus liegt gleich auf einem beachtlich großen Käfig auf der rechten und seinem Live-Drummer auf der linken Seite. Später, bei „Outcast“, wird er sich noch einschließen, auf den Käfig klettern und deutlich zeigen: er hat sich befreit. Denn hört man die Musik von Nathan, merkt man erst, wie schwer die Zeit gewesen sein muss, durch die er gehen musste, wie tief die Psyche eines Depressiven geht. Viele versuchen oft, diese Krankheit in Worte zu fassen, aber erst NF schafft es vollends, die richtige Stimmung einzufangen, die richtigen Worte zu finden und vielleicht auch einfach den passenden Zeitgeist, um diesen Höllenweg für Unbetroffene klar zu beschreiben. Das macht ihn besonders, macht ihn einzigartig. Sein technisch anspruchsvoller und dabei durchgehend gelungener Live-Rap und ein Flow-Verständnis, das nur wenige mitbringen, sind hier noch gar nicht miteinbezogen.
NF erscheint nur mit Schlagzeuger, den Backup-Rap übernehmen gelegentliche Backing-Tracks, aber den Sprechgesang bietet er durchgehend live dar. Nur bei den Gesangparts, die Lieder wie „My Stress“ und vor allem das erfolgreiche „Let You Down“ erst so richtig auszeichnen, da hält er sich zurück, lässt das Publikum oder einfach die Konserve singen. Vielleicht ist er da noch nicht weit genug, vielleicht benötigt er noch ein paar mehr Jahre auf den ganz großen Bühnen, um auch diesen Schritt zu wagen – in puncto Show, Energie, Performance und Setlist hat er bereits das Höchstmaß erreicht und beweist deutlich, wieso der Hype um ihn gerade und wohl auch in den nächsten Jahren absolut gerechtfertigt ist. „The Search“ ist ein Album, das man im Jahr 2020 inmitten des ganzen Trap-Sumpfes nicht mehr erwartet hätte. Der Zuspruch der vor allem jungen Generation ist deutlich: ehrlicher, greifbarer, authentischer, einfach echter Rap, das ist die Zukunft, das ist die Vergangenheit. Trends kommen und vergehen – aber eben weil die Musik von NF sich gegen jeglichen Trend stellt, wird sie überdauern. Am Ende siegt immer die Substanz, nicht deren Fehlen.
Setlist: The Search / Leave Me Alone / Change / No Excuses / My Stress / My Life / Outcast / Options / Only / Nate / Hate Myself / If You Want Love / Let You Down / Time / When I Grow Up / Returns – Zugabe: WHY
Bericht: Ludwig Stadler