Am 8./9. Juni ist es endlich soweit – Rammstein besuchen nach etlichen Jahren wieder München im Olympiastadion. Beide Konzerte waren innerhalb des gleichen Tages ausverkauft, doch immer wieder gibt es HIER Rückläufer, wer sein Glück weiterhin versuchen möchte. Ob es sich tatsächlich lohnt, verrät wohl auch der Hauptgrund für die Stadion-Tour: ein neues Album. Zehn Jahre nach „Liebe ist für alle da“ haben es die Berliner geschafft: elf neue Titel. Doch wie hört sich „Rammstein“, wie das Album auch heißt, an? Wir haben in das Werk, das am Freitag, 17.5., erscheint, reingehört!
- DEUTSCHLAND
Was gab es da wieder für ein Medienecho! Die erste Single und somit auch das erste Lebenszeichen seit Jahren in Form von neuer Musik dürfte wohl gefühlt jede und jeder schon gehört haben. Mit epochalem Intro und Bombast-Akkordfolge melden sich Rammstein definitiv musikalisch wuchtig zurück, wenngleich auch die Musik allein nicht über die fünf Minuten hinweg die Spannung hält. Textlich allerdings ist die Auseinandersetzung mit der Heimatliebe und dem Hass, in Bezug auf die Geschichte, großes Kino, das wieder Doktor-Arbeiten in den Nebensätzen entstehen lässt. Vom provokanten, aber irrsinnig starken Video ganz zu schweigen. So macht man Comeback!
- RADIO
Dementsprechenden Kontrast bietet auch die zweite Single und auch gleich die zweite Nummer des Albums. Im Video versucht man sich an einer Kraftwerk-Hommage, verfällt dann aber doch wieder etwas in den Rammstein-Style. Insgesamt braucht das Lied einige Anläufe, die es über die letzten Wochen bereits gab – dann entfaltet sich auch diese Studie über die Radio-Landschaft damals, heute und in Zukunft. Sonderlich innovativ ist das Lied dann zwar nicht, aber eingängig und mitreißend.
- ZEIG DICH
Religionskritik liegt dem Herrn Lindemann ja schon immer recht gut in seinen Texten. Nun tun es ihm seine Mitmusiker gleich und passen den gesamten Song dann doch etwas den choralen Kirchengesängen an. Das Intro glänzt, der Anfangs-Riff ist ungewöhnlich klassisch-rockig, im Refrain wird es dann aber schon wieder sehr klassisch und erinnert zumindest vom Refrain-Aufbau an „Keine Lust“. Der Ausruf eines Gläubigen und die Bitte, Gott möge sich doch endlich zeigen, ist natürlich clever gedacht und wirkt überraschend klar und deutlich in der Aussage. Ansonsten gibt es noch ein Bass-Solo. Starkes Stück.
- AUSLÄNDER
Rammstein meets Clubbing? Der Anfang mutet fast an einen üblichen Track in der Disco an, wenn dann doch nicht die Rock-Chords einsetzen würde. Nichtsdestotrotz bleibt „Ausländer“ irre tanzbar und relativ poppig, wartet mit einem Ohrwurm-Refrain seinesgleichen auf und dürfte wohl irgendwie die greifbarste Nummer des Albums werden. Ungewöhnlich dennoch – Rammstein versprechen nicht zu viel, wenn sie sagen, dass es anders wird.
- SEX
Ja, der Titel ist irrsinnig klischeehaft. Andererseits könnte man sich fragen, wieso man sich jetzt erst dafür entschieden. Der Beginn ist dann jedenfalls ganz klassisch mit einem Metal-Riffing, wobei auch hier wieder deutlich wird: Lindemann singt deutlich mehr wie noch in den Alben zuvor. Auch die erwarteten Sadomaso-Anspielungen bleiben aus – allgemein wirkt das Lied schon fast positiv mit einer fröhlichen Grundstimmung, wie auch „Ausländer“ zuvor. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. In jedem Fall äußerst treibend und mit einem Flake in Topform!
- PUPPE
Die erste Ballade! Der Einsatz für Lindemann, noch mehr Wert auf Gesang zu nehmen, wenngleich sein gerolltes R hier sogar teilweise einfach etwas zu übertrieben wirkt. Wer allerdings denkt, da kommt nichts mehr, wird nach zwei Minuten eines Besseren belehrt – denn für Überraschungen sind die Berliner Herzen wohl wahrlich immer zu haben. Diese kleine Geschichte über eine absolut aus dem Ruder laufende Gewaltsituation dürfte jetzt schon zu den großen Highlights des Albums gehören.
- WAS ICH LIEBE
Der erste tatsächliche Durchhänger. Zwar sind alle Rezepte für einen guten Rammstein-Song vorhanden, von der atmosphärischen Strophe bis zum melodischen Refrain ist alles dabei – so recht zünden mag es dann doch nicht. Irgendwie vermisst man trotz all der Melodik und Ausgefeiltheit doch ein wenig die Härte. Aber natürlich, die Herren haben die 50 Jahre selbstverständlich auch schon überschritten – kaum einer wird wohl Songs wie „Morgenstern“ noch im Jahr 2019 erwarten.
- DIAMANT
Der mit grade einmal 2:30 Minuten deutlich kürzeste Song auf dem Album ist zugleich der ruhigste. Unschuldig, fast schon zerbrechlich wirkt das Liedlein. Wer hier auf den großen Metal-Riff wartet, wartet lange, denn die kleine Liebesgeschichte oder einfach nur Liebeserklärung bleibt ganz unaufgeregt – und macht sie wohl gerade deshalb besonders. Unerwartet – wie so vieles auf diesem Album.
- WEIT WEG
Rammstein bleiben ihrem gemächlichen Tempo und rockigeren Image auch in „WEIT WEG“ treu. Nach dem ersten Hören bleibt allerdings kaum etwas hängen, maximal das psychedelisch anmutende Gitarren-Solo, das dann doch wieder viel zu schnell vom eher mittelmäßigen Refrain abgelöst wird. Mit vollgedrehter Anlage dürfte die Soundwand allerdings durchaus ihre Wirkung entfalten. Bei weitem aber nicht die Spitze des Albums, zudem auch textlich nicht besonders hervorstechend.
- TATTOO
Wer sehnsüchtig auf den üblichen Stampf-Beat wartet, an dem Lindemann auf der Bühne live wunderbar sein Knie-Gehämmere durchziehen kann, wird bei „Tattoo“ dann doch endlich fündig. Ein schöner Headbanger, in dem die Berliner wieder einen melodischen Refrain einbauen. Fast wirkt es so, als ob sich die Herren das zum Auftrag gemacht haben: mehr Melodie, selbst in den harten Stücken. Dem Gesamteindruck kommt das bestens entgegen. Insgesamt eine gute Nummer und eine schöne Abwechslung, wenngleich auch hier der Text blass und nichtssagend bleibt. Muss man sich nach grandiosen Lyrik-Ergüssen wie noch in „Deutschland“ und „Puppe“ doch bereits Gedanken machen?
- HALLOMANN
Der letzte Song auf dem Album beweist dann doch: nein, keine Angst um Lindemanns lyrische Fähigkeiten, sein feines und wie häufig durchaus düsteres Storytelling beherrscht er noch bestens. Allgemein schreiten Rammstein zum Schluss doch noch in die düstersten Gefilde der Menschheit, wie sie es auch so grandios können. Selten wurde das Thema Kinderentführung wohl eindringlicher gestaltet – und das ohne die ganz harten Riffs oder schockenden Parts. Man bleibt eher zurückhaltend, brav, wie auch im gesamten Album.
Sind Rammstein also alt geworden? Ja, sind sie, das kann man wohl kaum verheimlichen. Wirkt sich das negativ auf ihr musikalisches Handeln aus? Nein, das definitiv nicht. Allerdings behält die Band recht, wenn sie sagt, dass das Album „anders“ sei. Zwar lassen sich alle liebgewonnenen Details und Merkmale auch hier finden – aber seltener oder mindestens reduziert. Man hat sich für den rockigeren Weg entschieden, auch für den textlich nicht allzu provokativen Weg. Wahrlich kein tragischer Wegfall, Rammstein müssen niemanden mehr etwas beweisen. Dass sich die Setlist allerdings mit den alten Klassikern gutmachen könnte, wird recht schnell beim Hören deutlich. Wir verneigen uns vor einem mutigen und experimentellen Album, das die andauernde „Können die es überhaupt noch?“-Frage mit einem deutlichen Ja beantwortet, und freuen uns auf die Tour!