Der Klavierabend beginnt mit Frédéric Chopins Etüden opus 25 – zwölf kürzere Stücke, jedes mit einer anderen technischen Herausforderung. Der polnische Komponist hat seinerzeit, in der Hochzeit des Virtuosentums, die Gattung der Etüde konzertsaaltauglich gemacht: seine beiden Sammlungen opus 10 und 25 sind nicht nur stupide Übungen zur Fingerfertigkeit, sondern jedes für sich ein kleines kompositorisches Meisterwerk.
Beatrice Rana verwendet dabei das rechte Pedal sehr intensiv, sodass kaum scharfe oder rhythmische Akzente hervorstechen. Dennoch entstehen keine dissonanten Cluster, sie schafft vielmehr weiche Atmosphären, woraus die Töne der Melodie hervorleuchten. Gerade die dritte und vierte Etüde würden aber etwas stärkere Akzentuierung vertragen, da ihre Rhythmen durch das Pedal ziemlich verlieren. Generell ist ihre Interpretation für Puristen nicht allzu geeignet. Doch wenn man sich auf den „fließenden“ Chopin einlässt, kann man nur genießen und schweigen.
Wenn es die Tonarten erlauben, lässt sie den Schlussakkord bis ins nächste Stück überklingen, wodurch der harmonische Eindruck eines ganzen, geschlossenen Werkes entsteht.
Spätestens bei der Etüde Nr. 10 geht ein Raunen durchs Publikum: der furiose Eingangsteil besteht aus donnernden Oktaven, die Rana wie selbstverständlich komplett legato spielt. Dabei greifen abwechselnd dritter, vierter und fünfter Finger mit dem Daumen das große Intervall und binden dessen äußere Töne über bis zum nächsten, sodass eine ununterbrochene Melodielinie entsteht – ein enormer technischer Anspruch, gerade bei dem rasanten Tempo!
Die allerletzte Etüde mit dem Beinamen „Ozean“, der krönende Abschluss, wird auch bei Rana definitiv zu einem solchen: die gebrochenen Akkorde über die ganze Klaviatur bilden lautmalerisch Wellen nach. Hier passt ihre weiche Spielweise hervorragend, auch da sie sich nicht scheut, zuzugreifen und durch das Forte der Etüde trotzdem eine gewisse Schroffheit zu verleihen.
Derart warmgespielt folgt nach der Pause Maurice Ravels Zyklus „Miroirs“. Dieses aus fünf Stücken bestehende Schlüsselwerk des Impressionismus erhält nun viel stärkere Akzente aus Ranas Händen. Auch ihre Dynamik wird expressiver, das Auf- und Abschwellen der Lautstärke gibt dem Ravel eine unbedingt notwendige Nervosität. Zum absoluten Highlight des Abends wird das dritte Stück der Miroirs, das ebenso im Zeichen des Wassers steht: Une barque sur l’océan. Hier mischt die Solistin weiche, wellenartige Arpeggien mit markanten Akzenten und lässt eine wunderbar angenehme Stimmung entstehen, durch die Ravels eigenwillige Lesart des Impressionismus aber noch klar durchscheint. Eine weitere Freude zu hören: das anschließende Alborada del gracioso (= „Morgenständchen eines Narren“) mit seinen feurigen Rhythmen und seinem Temperament, das Rana mit viel Spielfreude und differenziertem Pedaleinsatz optimal vertont.
Beschlossen wird das Konzert von einem der unspielbarsten Klavierwerke: Igor Strawinskys „Der Feuervogel“, bearbeitet für Klavier von Guido Agosti. Wer die Orchesterfassung kennt, kann sich bereits denken, dass eine Transkription für lediglich zwei Hände nicht sonderlich angenehm sein wird. Bei Agosti wechseln sich Glissandi mit Akkordsprüngen über die gesamte Klaviatur und gleichzeitigen Zwischenstimmen ab, ganz zu schweigen von der expressiven Harmonik und dem rasanten Tempo. Hier beweist Rana neben vollkommener Technik erneut ihre Vielseitigkeit: ihr Anschlag wird härter, die Akzente gewitzter – sie gibt sich ganz dem temperamentvollen Expressionismus hin.
Grundsätzlich ist Beatrice Ranas Spielstil bemerkenswert: extrem lockere und entspannte Arme und Handgelenke, keine überflüssigen Gesichtsregungen oder Bewegungen mit dem ganzen Körper. Auch findet man bei ihr keinerlei Starallüren – sie betritt die Bühne, setzt sich sofort an den Flügel und beginnt fast noch im selben Moment zu spielen. Mit ihrem Können braucht sie sich keinesfalls zu verstecken, fällt aber ebenso nur dadurch auf und nicht durch außermusikalische Extravaganzen – sehr sympathisch!
Als Zugaben spielt die 26-jährige Italienerin noch Chopins Berceuse und ein Prélude (op.28 Nr. 16) des Romantikers und spannt so den Bogen zum Eingangswerk eines äußerst inspirierenden und begeisternden Abends im Prinzregententheater.
Kritik: Bea Mayer