Behörden-Odyssee – „What they want to hear“ in den Kammerspielen (Kritik)

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Was wollen Sie von mir hören? Wie soll ich mich verhalten? Was genau muss ich sagen, um einen Flüchtlingsstatus in Deutschland zu erhalten? Und werden sie mir glauben oder nicht? Mit diesen Fragen sieht sich der junge Syrer Raaed Al Kour konfrontiert, als er 2014 seine Flucht in Dortmund beendet. Doch wer hierher kommt, hat nur seinen Körper und seine Geschichte.
An den Münchner Kammerspielen wurde am 22. Juni 2018 diese Geschichte der Flucht, unter der Leitung der argentinischen Dokumentartheaterregisseurin Lola Arias, wiedergegeben. Die Spielvorlage ist inspiriert von den authentischen Gesprächsprotokollen, die bei Raaed Al Kours Anhörungen im BAMF entstanden.

© Thomas Aurin

Die Uraufführung von „What they want to hear“ beweist: Niemand flieht ohne Grund. Und was so mancher nicht zu verstehen mag: Niemand flieht aus Spaß!
Auf der Bühne der Kammer 1 steht eine, von Dominic Huber errichtete, Büro Unit. In dieser werden die verschiedenen Anhörungen im Asylprozess von Raaed Al Kour nachgespielt. In deutscher, arabischer und englischer Sprache rekonstruiert Arias mit dem Open Border Ensemble diesen realen Fall. Sie erzählen die Geschichte einer Person, die seit vier Jahren ohne Status lebt und die eines Landes, in dem seit sieben Jahren Krieg herrscht.

Ohne „auf die Tränendrüse drücken“ zu wollen, werden hier die komplizierten, bürokratischen Bausteine entschlüsselt, die Raaed Al Kour in den Weg gelegt werden. Ein ausgebildeter Archäologe, der zusätzlich mesopotamische und syrische Literatur studiert hat! So einen schlauen Kopf will Deutschland nicht?
„Eins nach dem anderen“, erklärt Michaela Steiger in ihrer Rolle als ehrenamtliche Helferin einer Gruppe von Asylbewerbern. Die Deutschen mögen es lieber geordnet und man kann in seiner Geschichte nicht so hin und her springen, wie unser arabischer Erzähler es heute tut.

© Thomas Aurin

Wie erzähle ich glaubwürdig eine wahre Geschichte? Raaed Al Kour musste notgedrungen seine Heimatstadt Daraa verlassen. Er zeigt Fotos von dem zerbombten Haus seiner Familie, ist das nicht Beweis und Grund genug für seine Flucht?
Sein Dolmetscher, in der theatralen Rekonstruktion gespielt von Hassan Akkouch, illustriert auf einer Landkarte die Odyssee, die in Deutschland durch die Behörden weitergeht.

Wie viel in Übersetzungsfehlern verloren geht, wie viel Schmerz es bereiten muss, wenn der Muttername falsch geschrieben wird, einem eine Religion zugeteilt wird und Worte in den Mund gelegt werden, lässt sich im Lauf des Abends immer mehr nachempfinden. Die letzten fünf Jahre müssen sehr Kräftezehrend für Raaed Al Kour gewesen sein. Die sterile Nüchternheit des Behörden-Interieur trifft auf ritualisierte Befragung, in der die Menschlichkeit verloren zu gehen scheint. Abstumpfung durch Routine.
Michaela Steiger meistert die anspruchsvolle Aufgabe, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Sie gibt die Anwältin, die verhörende Beamtin und die ehrenamtliche Helferin. Arias zeichnet das Asylverfahren nach, indem sie die Rekonstruktion der peinlich peniblen Anhörungen auf dem Amt nur gelegentlich mit anderen Szenen und Projektionen von Videomaterial durchbricht.

„What they want to hear“ in den Kammerspielen bringt uns die Situation von Asylbewerbern mitreißend nahe. Ein existenzielles Drama, das sich tagtäglich in Deutschland abspielt.

Kritik: Carolina Felberbaum