Der verlängerte Todestrank – „Tristan und Isolde“ in der Staatsoper (Kritik)

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Seit deren Ankündigung dürfte „Tristan und Isolde“ die am sehnlichsten erwartete Neuproduktion des Opernjahres 2020/2021 sein – nicht nur an der Bayerischen Staatsoper, sondern auch darüber hinaus. Nicht nur ist es die letzte große Festspielpremiere im Nationaltheater in der Intendanz von Nikolaus Bachler, auch ist es mit Rollendebüts von Jonas Kaufmann und Anja Harteros verbunden. Die Oper von Richard Wagner beendet den Pfad, den Bachler und der damalige Generalmusikdirektor Kirill Petrenko gemeinsam gegangen sind: das Wagner-Repertoire neu denken. Ehrensache, dass Petrenko für diese Produktion zurück ans Dirigentenpult kommt.

© Wilfried Hösl

Das Nationaltheater platzt, im Rahmen des Erlaubten, aus allen Nähten – mit der Kapazitätserhöhung wurden die zusätzlichen Plätze rasend schnell verkauft und erlauben nun immerhin 50% der üblichen Saalauslastung. Dass die fünf Vorstellungen wohl auch mit Vollbesetzung rasend schnell ausverkauft wären, dürfte selbstredend sein. „Tristan und Isolde“ verknüpft eine lange Tradition mit München – angefangen mit der Tatsache, dass hier die Uraufführung stattfand, damals groß umjubelt, auch von Wagner selbst. Die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski wird wohl weniger Jubelstürme auslösen, denn so richtig sichtbar zeigt sie sich auch nicht. Außer zwei Sesseln und einer halben Couch findet man kaum etwas auf der Bühne, die Statisten im Hintergrund erschließen sich in absolut gar keiner Deutungsebene und wieso man im dritten Akt nun mit einem Tisch voller Puppen als Kindheitserinnerungen Tristans verbildlicht, wirkt eher krude. Einzig im zweiten Akt, als sich Tristan und Isolde ausführlich ihre Liebe gestehen und vom gemeinsamen Liebestod träumen, läuft im Hintergrund genau diese gemeinsam geträumte Handlung ab. Neue Gedanken findet man darin aber nicht. Letztendlich hätte man auch alles vor das übliche Setting eines Konzerts in der Bayerischen Staatsoper packen können, einen Unterschied hätte es kaum gemacht.

© Wilfried Hösl

Allerdings ist die Inszenierung auch vollkommen zweitrangig, denn in erster Linie geht es hier um drei Personen: Jonas Kaufmann, Anja Harteros und Kirill Petrenko. Alle drei geben ihr Debüt in Wagners Liebesdrama – und alle drei sind die wahrscheinlich größten Mitstreiter in Bachlers Intendanz. Seit dem „Lohengrin“ gelten Kaufmann und Harteros als Münchner Opern-Traumpaar – nur konsequent, dass beide diese Monsterpartien von Tristan und Isolde nun erstmals in München wagen. Das Resultat: überwältigend. Kaufmann gibt seinem Tristan schauspielerisch als auch vor allem gesanglich Tiefe, Druck und Nuancen, die man in so einem Hochgesang im dritten Akt nicht mehr vermutet hätte. Ein gelungener Einstand! Harteros als Isolde muss sich nicht durch merklich weniger gesangliche Einsätze kämpfen, aber glänzt auch hier mit klarem und ausdrucksstarkem Gesang, selbst in den Höhen. Die Rollen sind, allein durch die schier endlose Opernlänge, ein wahrer Kraftakt, den beide fantastisch gemeistert haben – und dass sie als Bühnenpaar großartig harmonieren, steht wohl außer Frage. Petrenko schafft es auch, fast schon wie zu erwarten, mit dem Bayerischen Staatsorchester der Wagner-Oper einen frischen Anstrich zu verpassen, dass sie klanglich kaum stärker klingen könnte. Er gibt den Sängern maximalen Freiraum und dem Orchester wiederum die Möglichkeit, in den solistischen Momenten zu glänzen. Dabei schreckt er nicht vor überraschender Lautstärke zurück, ebenso wenig vor vollbesetzter Stille. Es ist wohl kaum möglich, das Werk derzeit stärker zu besetzen als mit diesen drei Akteur*innen.

Dabei tun die weiteren Besetzungen ihr Übriges und verstärken das Gesamtbild nur noch. Okka von der Damerau glänzt als Brangäne gesanglich auf ganzer Linie, eine wohlverdiente Partie für das langjährige Ensemble-Mitglied. Wolfgang Koch als Kurwenal überrascht zwar kaum in der Besetzung, liefert aber eine solide Leistung ab – womöglich hat man ihn in den vergangenen Jahren aber schon etwas zu oft gesehen. König Marke hat zwar nur zwei Auftritte, die weiß Mika Kares aber fein einzusetzen und so sehr stimmlich aufs Ganze zu gehen, dass er im Schlussapplaus viele Bravo-Rufe bekommt. Am Ende hilft das aber auch nicht, um über das unvermeidbare Ende hinwegzukommen: Tristan stirbt aus Liebe, Isolde stirbt an Liebe, der Rest stirbt zwischendrin für die Liebe. Ob Brangänes Liebestrank nicht letztendlich nur eine verlängerte Version des Todestranks war, ergänzt durch eine zeitliche Achterbahnfahrt der Gefühle? Wer weiß. Musikalisch also eine „Tristan und Isolde“, die kaum mehr bieten könnte. Nur die szenische Komponente bleibt deutlich ausbaufähig.

Am 31. Juli 2021 übertragt staatsoper.tv „Tristan und Isolde“ KOSTENLOS als Stream!

Kritik: Ludwig Stadler