For the Great Blue Cold Now Reigns – The Ocean im Strom (Konzertbericht)

Quelle: http://www.arabrot.com/thegospel/
(C) Årabrot

An diesem Freitag, den 9. November 2018, dürfte für jeden Fan harter Gitarrenmusik etwas geboten sein: Wer kraftwölfisch unterhalten werden will, geht ins Zenith, wer der gesetzlosen Dunkelheit zu huldigen wünscht, ins Backstage, wer Post Metal über Dinosaurier hören möchte, macht sich auf ins Strom, wo The Ocean auftreten. Von letzter Gruppe hat Glück, wer sich nicht um die irreführende Information schert, Beginn sei um 21 Uhr. Die erste der beiden Vorbands, Årabrot, muss Punkt acht loslegen, vor einem naturgemäß beständig wachsenden, doch zu Beginn verschwindend kleinem Publikum. Was schade ist, denn obwohl sich auch The Ocean und die zweite Vorband Rosetta durch je eigene Qualitäten einzigartig machen, sind Årabrot doch etwas ganz Besonderes. Die Band besteht zuvörderst aus Kjetil Nernes (Gitarre, Gesang) und seiner Frau Karin Park (Synthesizer, Gesang), die zusammen in einer ehemaligen Kirche in Norwegen wohnen und musizieren. Ja, es geht um Tod und Teufel, um Blut und Weihwasser, Nernes mit breitkrempigem Hut, Hemd und Hosenträgern sieht genau aus, wie derjenige Satan, den du um Mitternacht an einer gottverlassenen Kreuzung in den Südstaaten triffst und der dir gegen Pfändung deiner Seele Gitarrenstunden anbietet… Ja, der Musik von Årabrot eignet ein gewisses bluesiges Element, mit klischeehaften Teufelsbardentum a la Me And That Guy From Behemoth hat ihre Musik jedoch nichts zu tun, vielmehr bekommt das Publikum, das, indem es für The Ocean da ist, wohl eine generelle Vorliebe für das Große, Mächtige mitbringt, eher verhalten auf die Skandinavier reagiert, rabiate, rotzige Rocknummern, veredelt von einer geschliffenen Gesangsdoppelspitze. Es ist Årabrots letztes Konzert auf dieser Tour (für The Ocean und Rosetta geht es weiter in Richtung Osteuropa), doch Årabrot lassen keine Ermüdungserscheinungen erkennen und haben die Zuschauer am Ende ihres halbstündigen Sets erfolgreich nah an die Bühne gelockt.

Setlist: The Gospel / Warning / And The Whore Is The City / Maldoror’s Love / The Dome / Tall Man / Pygmalion / The Horns of the Devil Grow / Story of Lot

Quelle: http://rosettaband.tumblr.com/private/57030096885/tumblr_mqu0wt1J2W1qb3aia
(C) Rosetta

Rein optisch sind Rosetta weniger markant aufgestellt als Årabrot. Die Post-Metaller verbringen lieber mehr Zeit mit – höchst erfolgreicher – Soundjustage und bieten sodann ebenso erfolgreich eine geschmeidige Performance. Die Truppe aus Philadelphia stellt ein musikalisches Einschwenken in die Bahn dar, auf der der Abend mit The Ocean in die Zielgerade einbiegen wird, jedoch ergibt sich trotz der stilistischen Nähe keine Konkurrenz- oder Vergleichssituation, da Rosetta einen ausgeprägten Hang zum Atmosphärischen beweisen. So vergeht die Zeit wie im Flug und ohne schon vor dem Hauptact Ermüdung hervorzurufen. Rosetta verabschieden sich vom inzwischen vollen Strom unter nachdrücklichem Applaus.

Setlist: (Untitled II) / Neophyte Visionary / Ryu-Tradition / King Ivory Tower / Qohelet

Rosetta waren also eine gute Einstimmung auf das, was wenig später mit The Ocean im Strom Einzug halten sollte, bereiteten sie jedoch in keiner Weise vor. Als das ‚Kollektiv‘, das inzwischen eine recht stabile Band geworden ist, vor zwei Jahren zusammen mit Mono und Sólstafir im Backstage spielte, machte es einen recht zahmen, Prog-/Post-Rock-kompatiblen Eindruck. Damals spielte die Band vor allem Stücke vom Album „Pelagial“, dessen Konzept so steif ist, dass es auf Tour zumeist einfach in voller Länge wiedergegeben wurde. Das neue Werk von The Ocean, „Phanerozoic I: Palaeozoic“ befasst sich nicht nur inhaltlich mit vergangenen Äonen der Erdgeschichte, sondern ist auch wesentlich offener gehalten, weshalb live mehr Abwechslung lockt. Und nicht nur das: Nach dem markigen Opener „Cambrian II: Eternal Recurrence“, dem schon mit einiger Bewegung im Publikum begegnet wurde, beweisen The Ocean mit dem unwahrscheinlich aggressiven, rabiaten „Ordovicium: The Glaciation of Gondwana“, dass gesetzte Prog-Fans lieber schnell sich selbst und ihre Deluxe-Vinyl-Editionen in Sicherheit bringen. Vor der Bühne setzt ein Moshen und Crowdsurfen ein, das während der Dauer des gesamten Konzerts nicht nennenswert nachlässt und an dem sich auch Gitarrist und Bandkopf Robin Staps mehrmals beteiligt. Besonders bei The Oceans ‚No. 1-Hit‘ „Firmament“ entsteht – zumindest, was den vorderen Teil des Zuschauerraums angeht – der Eindruck einer Hardcore-Show.

Ein weiterer Höhepunkt ist erreicht, als Rosetta-Sänger Mike Armine zu „Orosirian: For the Great Blue Cold Now Reigns“ vom Erfolgsalbum „Precambrian“, dessen zehnjähriges Jubiläum die Band diesjährig feiert, auf die Bühne kommt und mit The Oceans Loïc Rossetti, der im Übrigen eine durchgehend – sowohl schreiend, als auch singend – überragende Leistung erbringt, in vollendetem Stereo alles zusammenbrüllt, was nicht niet- und nagelfest ist.

Nachdem sich die Band fulminant mit „Permian: The Great Dying“ verabschiedet hat, gibt es als Zugabe, gleichsam zum ‚Runterkommen‘ das eher ruhige „The Quiet Observer“ von The Oceans Split-EP mit den japanischen Postrockern Mono und zuletzt das stumpf marschierende „Benthic: The Origin of Our Wishes“. Und selbst, nachdem sich die Band zum zweiten Mal verabschiedet hat, harren nicht Wenige noch halb hoffnungsvoll aus, ob denn nicht doch… Doch nein, Schlagzeuger Paul Seidel kommt nur zurück, um seine sieben Sachen einzutüten und zeigt den wartenden Fans den Vogel – husch, ab zum Merchstand, dann hinaus: Nichtsdestotrotz hochgradig befriedigt, denn es war gut, sehr gut.

Setlist:Cambrian II: Eternal Recurrence / Ordovicium: The Glaciation of Gondwana / Hadopelagic II: Let Them Believe / Firmament / Silurian: Age of Sea Scorpions / Statherian / Orosirian: For the Great Blue Cold Now Reigns / Permian: The Great DyingZugabe: The Quiet Observer / Benthic: The Origin of Our Wishes

Bericht: Tobias Jehle