„One soma a day keeps the sadness away!!“ – „Schöne neue Welt“ im Volkstheater (Kritik)

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Ein System, in dem es keine Äußerung mehr gibt, die von der vorgegebenen Leitlinie der Regierung abweicht, Meinungskonformismus statt -pluralismus, ein Konsortium aus Staat, Wirtschaft und Medien kontrolliert und manipuliert das Leben eines jedes Einzelnen von Geburt an…und die Gesellschaft akzeptiert es nicht nur, sondern berauscht sich an sich selbst, am dargereichten Wohlstand und Konsum!

Willkommen in der schönen neuen Welt!!!

© Arno Declair

Aldous Huxley entwarf dieses Szenario einer konditionierten und korrumpierten Einheitsgemeinschaft in seiner Dystopie „Brave New World“ bereits im Jahre 1932 und erkannte im Nationalismus und der Entwicklung zur Überbevölkerung die bedeutsamsten Gefahren für die Auflösung demokratischer Prinzipien und damit den Weg in eine totalitäre Struktur, in der jede Freiheit des Denkens und Handelns durch das Kollektiv erstickt wird. Seitdem haben sich Vision und Realität durch unterschiedliche Faktoren mehr und mehr angenähert.

„One soma a day keeps the sadness away“ lautet das verheißungsvolle Motto der schönen neuen Welt in der aktuellen Inszenierung am Münchner Volkstheater. Und alles scheint tatsächlich makellos. Schöne gesunde Menschen arbeiten und feiern in einer antiseptischen und komplett durchorganisierten Umgebung. Es gibt keine Krankheiten, keinen Hass und keine Gewalt – und wenn das Glücksgefühl mal nachlässt, helfen freier Sex und die Droge Soma bei der Befriedigung sämtlicher Bedürfnisse.

Regisseur Felix Hafner gelingt es die ganze Künstlichkeit dieser Scheinwelt im grellen High-Key-Look perfekt zu visualisieren. Schrille Kostüme und Choreographien sorgen für eine stimmige Optik mit hohem Schauwert. Das Ensemble (das Volk) bewegt sich meist synchron im Rhythmus der wabernd-hypnotischen Elektro-Klänge und verschmilzt auf der als Tanzfläche dienenden Bühne zur ekstatischen Masse. Einer Masse, in der die Angepasstheit alles ist, das kritische Individuum hingegen untergeht.

© Arno Declair

Der junge Bernhard Marx (als wankelmütiger Rebell überzeugend: Timocin Ziegler) wagt es dennoch, aus dem verordneten System auszubrechen und begibt sich zusammen mit Lenina Crowne (stark: Julia Richter), dem Objekt seiner Begierde, auf Kurzurlaub in eines der wenigen Reservate, in denen die letzten natürlich geborenen und wild lebenden Menschen existieren.

Anstatt im Liebesspiel mit Lenina das erhoffte Gefühl von wahrer Leidenschaft zu entdecken, finden sie den vor Emotionalität geradezu überschäumenden John Savage (Silas Breiding) und dessen völlig abstoßende, von Krankheit und Alter gezeichnete Mutter Linda (Nina Steils in einem monströsen Fat-Suit, wahrlich nicht zu beneiden).

© Arno Declair

Der standardisierte, gezüchtete Mensch der neuen Gesellschaft trifft auf sein Pendant aus der Vergangenheit, mit all seinen vermeintlichen Schwächen. War es bis dahin noch ein Leichtes, die Brave New World als düstere Zukunftsvision einfach abzulehnen, beginnt von nun an ein tiefgehender Diskurs, der nicht nur auf politischer, sondern vor allem auf gesellschaftlicher Ebene geführt wird und durchaus diametrale Interpretationen und Ansichten zulässt.

Shakespeares Meisterwerke, echte Werte, wahre Gefühle und selbst der liebe Gott haben in der schönen neuen Welt keinerlei Bedeutung mehr – dafür gibt es keinen Hass, keine Einsamkeit und kein Elend mehr. Die Frage nach dem besseren Leben, dem wahren Glück, für die Menschheit bleibt unbeantwortet.

Nicht nur John Savage wird schließlich in einer Art von (etwas zu lang geratenem) Showdown vor die Wahl – alte oder neue Welt – gestellt, sondern man selbst kann sich der Konfrontation mit den Argumenten des Systemvertreters Mustapha Mond (Jakob Immervoll) ebenfalls nicht vollends entziehen. Und obwohl am Ende das etwa zweistündige Stück deutlich von seiner Literaturvorlage abweicht, schafft es die Inszenierung dennoch mühelos, seine ganz eigene Wirkung zu entfalten.

Fazit: Rundherum zeitgemäße und bewegende Adaption des Huxley-Klassikers und ein sehr vielversprechendes Debüt am Volkstheater für Nestroy-Theaterpreisträger Felix Hafner.

Kritik: Hans Becker