Bartók beeindruckt, Bruckner berührt – Leonidas Kavakos in der Philharmonie (Kritik)

| 0

Eher spontan hat sich das Programm des Konzerts am 14. November 2019 mit Leonidas Kavakos noch einmal geändert – aus Robert Schumanns Violinkonzert wurde das Zweite Violinkonzert von Béla Bartók.  Unverändert aber begleitet das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Alan Gilbert den griechischen Geiger und bringt in der zweiten Hälfte dann Anton Bruckners Siebte Symphonie auf die Bühne.

© Marco Borggreve

Kavakos beginnt den ersten Satz mit einer angenehm unaufgeregten Themenvorstellung. Er hebt sich zu jedem Zeitpunkt deutlich hörbar vom Orchesterklang ab, und doch herrscht eine intensive Einheit zwischen ihm und dem NDR Elbphilharmonie Orchester. Bereits als er die Bühne betritt, merkt man, dass ihn und die Musiker*innen mehr als nur die bloße Zusammenarbeit verbindet. Auch spielenderweise kommuniziert er enorm viel mit den Konzertmeistern, er steht fast inmitten der Musiker*innen, als wäre er lediglich ein weiteres Orchestermitglied. Die rastlos klagenden Geigenpassagen bettet das NDR Elbphilharmonie Orchester in wunderbar weiche Klangidyllen. Nicht zuletzt der Solist scheint die Tuttistellen sehr zu genießen und dreht sich dabei stets zum Orchester um. In der kurzen Kadenz des ersten Satzes zeigt der Weltklassegeiger dann, dass ihm dieser Ruf ohne Widerworte gebührt. Eine unfassbar intensive Farbpalette sind in diesen wenigen Takten komprimiert, die mehrstimmigen Passagen mit einer fantastischen Laut-Leise-Balance phrasiert, die markanten hohen Akkorde wirken wie ein drängender Hilfeschrei.

Der zweite Satz besteht aus einem Thema mit sechs Variationen.  Bartók hatte ursprünglich ein ganzes Variationswerk anstelle des Zweiten Violinkonzerts geplant, doch Zoltán Székely, ungarischer Geiger, Empfänger und Uraufführender des Werks, wünschte sich ein „richtiges“ Violinkonzert – die finale Form ist also ein guter Kompromiss geworden. Der Anfang des Themas dürfte gerne präsenter sein, doch es entwickelt sich. Kavakos trotzt mit seiner Geige dem Gewittergrollen der Streicher, dem Pizzicato. Die Solovioline erhebt sich über alles und doch entsteht eine edle Synthese mit dem Orchester. Kavakos, Gilbert und das NDR Elbphilharmonie Orchester vereinen das Unvereinbare.

Der finale Satz ähnelt dem ersten sehr stark, mit der Ausnahme, dass er deutlich leichter in die bedrohliche, fatale Richtung abdriftet, was Kavakos mit seinem nun deutlich extrovertierteren Spiel auf das Beste unterstreicht. Das Orchester bleibt (wie während des gesamten Konzerts) stets rhythmisch prägnant, Alan Gilbert hält es sanft zurück und gestaltet den reich instrumentierten Orchesterpart aufs Detail genau. Wie die meisten Solisten wählt auch Leonidas Kavakos die Version des Finales, bei der die Geige bis zum Schlusston die Hauptrolle spielt. Auch in diesem Fall hat sich Bartók nach Székely gerichtet, der die Geige im ursprünglichen Ende des Konzerts vernachlässigt sah, und schrieb einen zweiten dritten Satz.

Alles in allem handelt es sich um eine äußerst kurzweilige, mitreißende Performance, auf die Kavakos noch Johann Sebastian Bachs Andante aus der Solosonate für Violine BWV 1003 hören lässt – ein beruhigender, ästhetischer Abschluss, bevor es nach der Pause in Anton Bruckners Siebte Symphonie geht.

© Peter Hundert

Zwei Tage zuvor wurde die Siebte erst von den Münchner Philharmonikern aufgeführt, bei denen allerdings zehn statt „nur“ acht Kontrabässe besetzt waren. Dies tut der mitreißenden Interpretation des NDR Elbphilharmonie Orchesters aber keinen Abbruch. Alan Gilbert holt die Vielschichtigkeit der Partitur optimal heraus, eine kühl konzipierte Transparenz trifft auf den herrlich weichen Orchesterklang, der schon den ganzen Abend durchzieht. Gerade die Streicher sind so homogen und verdichtet, was dieser so auf Streicher angewiesene Symphonie aufs Höchste zugutekommt.

An einigen wenigen Stellen sind die Bläser nicht akkurat zusammen. Dann wiederum schaffen sie einen Raum von sphärischer Tiefe, speziell in Kopplung mit dem Wagner-Tuben-Quartett, das besonders im zweiten Satz eine tragende Rolle spielt – in der berühmten Trauermusik für den gerade verstorbenen Richard Wagner, Bruckners unverhohlenes Idol. Aus mehrfachen Änderungen in der Originalpartitur geht hervor, dass Bruckner sich selbst nicht sicher war, ob der Höhepunkt der Trauermusik nun einen Beckenschlag benötigt oder nicht. In der Mehrheit der heutigen Interpretationen wird dieser Beckenschlag, gemeinsam mit dem einzigen Triangel-Einsatz, gespielt, so auch an diesem Abend. Was bedeutet, dass zwei Musiker einzig und allein für diesen einen Schlag auf der Bühne abgestellt werden…

Ein vitaler dritter Satz entreißt aus der Totenstimmung, mit federnder Trompetenfanfare und sich auftürmenden Crescendi wird dem Finale entgegen getanzt, welches dynamisch exquisit auf die pompöse Fortissimo-Wiederholung des Hauptthemas aus dem ersten Satz zusteuert.

Sehr sympathisch stellt sich Alan Gilbert zum Schlussapplaus mitten unter „sein“ Orchester, das er seit dieser Saison als Chefdirigent leitet. Nach einer solchen Darbietung, die durch den Saal fegt wie ein Sturm, bleibt nicht weniger als Ehrfurcht vor dem, was Menschen (Komponisten, Musiker, …) zu leisten vermögen.

Kritik: Bea Mayer