Die unglückselige Liebe – „La traviata“ in der Staatsoper (Kritik)

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29 Jahre ist die Günter Krämers Inszenierung von Giuseppe Verdis „La traviata“ bereits alt, seitdem wird sie auch kontinuierlich und fleißig an der Bayerischen Staatsoper gespielt. Kein Jahr vergeht, an dem nicht einige Vorstellungen angesetzt sind, über all die Intendanzen von Jonas bis Bachler hat sich die schier zeitlose Variante gehalten. So übernimmt auch Serge Dorny dieses Werk und bringt es sogar in die Münchner Opernfestspiele. Besonders hervorstechend ist die Vorstellung am 1. Juli 2022, denn dort übernimmt Opern-Legende Plácido Domingo die Rolle des Giorgio Germont. Die Staatsoper ist also – wie zu erwarten – restlos ausverkauft, die Erwartungen groß.

© Wilfried Hösl

Die Oper selbst, bedenkt man den Status und die dauerhafte Bespielung in jedem großen und kleinen Opernhaus in Deutschland und daraus hinaus, dürfte wohl jede anwesende Person bereits gesehen haben. Und selbst wenn nicht, fügen sich die bekannten Stücke darin schnell mit einer recht gut verständlichen Handlung zusammen: Alfredo und Violetta verlieben sich, Alfredos Vater fürchtet um seinen guten Ruf und bittet die Lebedame Violetta um die Auflösung der Beziehung; die willigt ein, hinterlässt einen völlig verzweifelten Alfredo und stirbt am Ende an ihrer unheilbaren Krankheit in den Armen des wieder liebevoll versöhnten Alfredo und seinem Vater, der die Drastik und Folgen seiner Forderung eingesehen hat. Es gibt also Tod und Drama, aber immerhin kein wildes Gemorde und am Ende leben sogar noch einige Hauptpersonen. Vom Happy End ist das aber natürlich weit entfernt.

Krämer setzt das alles im Setting eines Herbsttages um. Bild für Bild öffnet er das Bühnenbild mehr und lässt die Menschen in Violettas Leben, die an ihrer Kraft zehren und ihre Krankheit nur noch einmal beschleunigen. Doch der Schein schwankt und so liegt der prunkvolle Kronleuchter, der sich nach und nach offenbart, am Ende zerstört am Boden und richtet sich auch nicht mehr auf – trotz Versöhnung von Alfredo und Violetta ist der Tod unaufhaltbar. All das ist in der Inszenierung klar umgesetzt, aber nicht aufdringlich, und gibt den wesentlichen Raum: für die Sänger*innen und vor allem Verdis Musik, die in „La traviata“ unlängst zu den bekanntesten Opernklängen zählt. Kein Wunder also, wieso die Bühne seit 29 Jahren kontinuierlich wieder aufgebaut wird, um den Platz für dieses Opernwerk zu bieten – das Staging ist so zeitlos, es dürfte auch in 10 Jahren noch wunderbar passen.

© Wilfried Hösl

Beachtlich an diesem Abend ist auch die Besetzung. Zwar kann Stephen Costello als Alfredo durchaus zufriedenstellen, besonders pfadet dieser Abend aber auf zwei Personen: Lisette Oropesa und Plácido Domingo. Die amerikanische Sopranistin scheint die Rolle der Violetta schier auf den Leib und die Stimme geschneidert worden sein, so ausdrucksstark und gesanglich glanzvoll bietet sie die Pariser Lebefrau dar; doch auch doch auch das verletzliche Finale gelingt ihr grandios und so erntet sie am Ende des Abends zurecht den lautesten Applaus. Dabei ist ein sicher nicht zu verachtender Teil vor allem für Domingo gekommen, eine der letzten lebenden Oper-Legenden und vor allem der letzte aktive der „Drei Tenöre“, die Oper und ihre Musik in der breiten Gesellschaft erst wieder groß gemacht haben. Mit mittlerweile 81 Jahren scheint er immer noch nicht genug zu haben und spielt weiterhin auf den Bühnen der Welt. Durch seinen Stimmfachwechsel in den Bariton übernimmt er die Partie von Alfredos Vater, Giorgio Germont – und wird der Rolle mehr als gerecht. Das Stimmvolumen ist noch da, die gesangliche Fertigkeit besteht auch in so gehobenem Alter noch. Der Applaus am Ende gebührt aber nicht nur seiner Performance, sondern wohl auch seinem Lebenswerk. Möge er gerne wieder kommen.

Kritik: Ludwig Stadler