„Wir wollen uns trennen, wenn die Blumen wieder blühen“ – „La Bohème“ im Gärtnerplatztheater (Kritik)

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Jung, pleite, aber moralisch. Die Neuinszenierung „La Bohème“, welche am 28. März 2019 im Gärtnerplatztheater Premiere feierte, setzt auf Modernisierung im großen Maßstab. Regisseur Bernd Mottel versetzt Puccinis Drama um vier junge Künstler in eine Welt voller Graffiti und Popkultur. Leider ist er dabei nur in wenigen Nuancen erfolgreich.

© Marie-Laure Briane

Vier junge und scheinbar erfolglose Künstler leben gemeinsam in einer Altbauwohnung über den Dächern von Paris. Noch nicht paradox genug? Die Fenster haben sie aus irgendeinem Grund ausgehängt und verfeuern stattdessen lieber das neueste Werk des Autors Rodolfo: Herzschmerz auf Papier wärmt anscheinend besser als jede Dämmung. Zwar reicht der Dreiakter nur für eine kurze Feuerpracht, aber Rettung naht, denn Schaunard, ein freischaffender Musiker, kommt tatsächlich mit Geld, Brennholz sowie Speis und Trank nach Hause. Ein Anlass für ein Festgelage muss nicht lange gesucht werden und nur Rodolfo bleibt noch zurück, um seinen Artikel fertigzustellen. Tatsächlich arbeiten sieht man ihn jedoch nie, da er durch den Besuch seiner Nachbarin Mimí abgelenkt wird, in welche er sich prompt verliebt. Von diesem Punkt aus scheint alles an Dramatik zuzunehmen. In einem angesagten Nobelcafé trifft Mitbewohner Marcello seine Exfreundin, mit der er sich nach viel hin und her schließlich versöhnt. Mimí versucht später Rodolfo wieder zu finden, um sich von ihm zu trennen, weil er sie nur noch anschnauzt. Wie sich aber herausstellt, will Rodolfo sie nur von sich distanzieren, um sie vor der Kälte in seiner Wohnung zu schützten. Er weiß von Mimís Krankheit, welche sich durch Kälte oder eventuell auch übermäßigen Drogenkonsum verschlimmert, sie weiß bis dahin noch nichts davon. Beide beschließen sich im nächsten Frühling zu trennen. Mimí erscheint erneut in der Künstler-WG, schwer krank aber erleichtert endlich wieder bei Rodolfo zu sein. Sie stirbt schließlich glücklich in Rodolfos Armen.

© Marie-Laure Briane

Als wäre die Handlung dieser Oper nicht schon verwirrend genug, sorgen sicherlich gut gemeinte Modernisierungsversuche nur noch für weiteres Kopfschütteln. Ein überdimensionales Tablett, an welchem sich die Darsteller geradezu festzuklammern scheinen, macht die Inszenierung genauso unglaubwürdig wie das Nobelcafé im Quatier Latin inklusive kitschiger Eisskulptur und Barkeepern in orangefarbenen Uniformen, die artig Sitz machen, sobald ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Marschkapelle, die zwischendurch über die Bühne zieht, der strippende Weihnachtsmann, eine Essensschlacht aus McDonalds Tüten und der kurze Auftritt des Chors und Kinderchors mögen für die Zuschauer ganz amüsant wirken, versetzten die Inszenierung aber nicht, wie intendiert, in eine angesagte Künstlerszene, sondern eher in die Münchner Schickeria. Die Darsteller wirken nicht wie junge Künstler, sondern wie reiche Villensprösslinge, die mit Papas Kreditkarte Realität spielen wollen.

Leider raubt die dominante Inszenierung auf der Bühne der Musik Puccinis ihre Emotionen. Die Figuren wirken zweidimensional und unnahbar, egal wie sehr sich Arthur Espiritu (Rodolfo) und Suzanne Taffot (Mimí) auch anstrengen mögen. Zwar bleiben ihre Stimmen kraftvoll und ihre Ausdruckskraft beeindruckend, das große Leiden, so wie es Puccini vorgibt, können sie nicht darstellen. Anthony Bramall gelingt es stattdessen als musikalischer Leiter mit dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz besser, die feinen Klänge eines Lebens für die Kunst und ohne Luxus zu erschaffen.

Dem Publikum scheint es trotz allem gut zu gefallen, denn Beifall gibt es schlussendlich zu genüge. Wer Lust auf amüsante Momente und beeindruckende Musik hat, kann an „La Bohème“ sicherlich Gefallen finden.

Kritik: Anna Matthiesen