„Küss mich, frage niemals!“ – „Judith“ in der Staatsoper (Kritik)

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Eine junge Frau folgt einem fremden Mann bedingungslos auf seine Burg, obwohl sie weiß, dass bereits mehrere Frauen von dort nicht zurückgekehrt sind. Warum?

Diese Frage bleibt offen in Béla Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg, wird nur schwach und unzureichend beantwortet, indem die Frau, Judith, der Burg „Licht, Luft und Wärme“ schenken möchte. Die auf Charles Perraults Märchen „Le barbe bleue“ aus dem 17. Jahrhundert zurückgehenden, steif determiniert präsentierten Geschlechterrollen von masochistisch-dominantem Mann und emotional-unterwürfiger Frau haben bereits unzählige Autor*innen inspiriert, die Geschichte für die gesellschaftlichen Probleme ihrer Gegenwart zu adaptieren –  so auch Béla Balázs, der das Libretto zu Bartóks Oper lieferte.

© Wilfried Hösl

Genau an diesem „Warum?“ knüpft auch Katie Mitchell mit ihrer Inszenierung von Béla Bartóks später Oper an der Bayerischen Staatsoper an. Vor diesen nicht abendfüllenden, weil mit einer Stunde Spielzeit zu kurzen Einakter setzt sie eine filmische Einführung (Regie: Grant Gee) in die sperrige Geschichte, die Filmrollen übernehmen die späteren Solisten – Nina Stemme und John Lundgren. Judith heißt hier Anna, ist Kriminalbeamtin des 21. Jahrhunderts und beobachtet das ungeklärte Verschwinden dreier Frauen. Sie haben eines gemeinsam – es sind Escort-Damen auf einer Website namens „Senior Queens“ und wurden von einem User namens Blaubart gebucht, hinter dem der Unternehmer Michael Hayworth steckt. Also erstellt auch Anna geschwind ein Profil auf besagtem Portal, wo sie sich Judith nennt – und prompt beißt Blaubart an. Mitchell macht ihn zum Opfer seiner stereotyp-männlichen Begierden, er erkauft sich mit der Undercover-Escort-Kommissarin aktiv sein späteres Verderben.

Unterlegt wird dieser Film von Bartóks Konzert für Orchester, hier zu Live-Filmmusik degradiert, vom Bayerischen Staatsorchester unter Oksana Lyniv , aber dynamisch und kompakt mit sämigem Ton interpretiert. Markenzeichen des Stücks ist die Verteilung von Soli über alle Instrumentengruppen hinweg, was Oksana Lyniv aber nicht dazu verleitet, die Soli explizit herauszustellen, vielmehr integriert sie diese angenehm in den Gesamtklang des Orchesters. Teils passt die Musik stimmungsstützend zur Filmhandlung, teils entspricht sie überhaupt nicht dem Geschehen auf der Leinwand – und schafft so auf spannende Weise irritierende Kontraste.

© Wilfried Hösl

Herzog Blaubarts Burg beginnt dort, wo der Film endet – in Blaubarts Tiefgarage. Er lässt sich durch Judiths Liebesschwüre insgesamt sieben Mal dazu bewegen, verschlossene Türen seiner Burg für sie zu öffnen. Hinter der ersten verbirgt sich ein OP, später eine Waffenkammer und ein Garten – und in jedem findet sich Blut, was die Ermittlerin nur umso mehr anstachelt, bis ins letzte Zimmer vorzudringen. Nina Stemme spielt ihre Doppelrolle als Anna und Judith so überzeugend, umwirbt geschickt oder auch dramatisch klagend ihren Blaubart – bis sie ihm seine Waffe entwenden kann. Höchst beeindruckend sind die tiefen Stellen ihrer Partie.

Besonders rund harmoniert John Lundgren seinerseits mit dem Bayerischen Staatsorchester in den teils arienhaft triumphal aufbegehrenden Passagen mit unüberhörbarem Einfluss des Impressionismus. Geschmeidige Übergänge, ohne jemals abzufallen, und markante Bläserakzente machen die Partitur zu einem gefälligen Ereignis.

© Wilfried Hösl

Das Bühnenbild (Alex Eales) voll meisterhafter Raumgestaltung treibt die Handlung wortwörtlich linear voran, die beiden Protagonisten wandern stets ein Zimmer weiter, streng nach rechts, nur Blaubart kann noch einmal umdrehen und die Türen hinter ihnen abschließen. Alle Zimmer, alle Türen schließen also schlauchartig aneinander an und laufen spannungssteigernd auf eine Sackgasse zu, das letzte Zimmer, in dem sich alles entscheidet.

„Nacht bleibt es nun ewig“, Blaubarts letzter Text wird zynisch zu seinen letzten Worten – er stirbt, getötet von Anna, die nun mit den von ihr befreiten Escort-Damen den Weg zurück durch den Raumschlauch antreten kann.

Judith ist eine schlichte, aber detailgenaue Inszenierung, authentisch und bedacht gesungen, ohne übertrieben kämpferischen Feminismus und angestrengt tiefsinniger Deutung der Burg als Blaubarts Psyche. Katie Mitchells logischer Ansatz besticht und wird ebenso logisch von Bühnenbild und Solisten aufgegriffen. Herzog Blaubarts Burg beinhaltet keine ausufernden Koloraturarien, ist mit seinen zwei Gesangsrollen denkbar spärlich besetzt – und findet in den aufmerksam zurückhaltenden Nina Stemme und John Lundgren wohl eine Idealbesetzung.

Kritik: Bea Mayer
Besuchte Vorstellung: 4. Februar 2020